Die Kunst, alle Perspektiven zu verstehen

  21.11.2022 Kultur, Kultur, Saanenland, Saanen, Region

Am Mittwoch fand in Saanen der zweite Abesitz statt. Referentin war die Geografin und Hochwasserexpertin Catherine Berger, die einen packenden Vortrag über den Wandel der Landschaft im Saanenland im Laufe der Zeit mit einen Schwerpunkt auf dem Hochwasserschutz hielt. Sie wagte auch eine Zukunftsprognose – und diese fiel eher düster aus.

NICOLAS GEISSBÜHLER
Was können wir aus der Geschichte lernen? Wie hat sich die Kulturlandschaft Saanenland in den letzten paar hundert Jahren verändert? Was bedeutet überhaupt «Kulturlandschaft»? Und welche Entwicklungen können wir in der Zukunft erwarten? All diese Fragen stellte und beantwortete Catherine Berger während ihres Referates «(Kultur-) Landschaft im Wandel der Zeit mit einem Fokus auf Hochwasser im Saanenland» am Mittwoch im Landhaus-Saal in Saanen. Diese Fragen sind meist nicht definitiv beantwortbar, sondern liegen oft im Auge des Betrachters. Deswegen betonte die Referentin immer wieder, dass es verschiedene Perspektiven gibt und man möglichst alle zu verstehen versuchen sollte. Dies tue allerdings nichts zur Sache, dass sich in Zukunft wohl die Naturkatastrophen und extremen Wetterverhältnisse häufen werden, erklärt sie.

Mensch gegen Natur
Catherine Berger, die ursprünglich aus der Bissen stammt, erklärte gleich zu Beginn, dass man in der Schweiz fast überall von Kulturlandschaft sprechen müsse. Diese grenze sich ab von der Natur, da der Mensch bereits gewisse Eingriffe getätigt habe und wir somit praktisch nirgends die unberührte Natur vorfänden. Gerade deswegen sei es wichtig, dass wir diese Kulturlandschaft so gestalten, dass sie sicher sei. Denn ihre Hochrechnungen prophezeien einen deutlichen Anstieg an Hitzetagen, Starkregengüssen und Überschwemmungen, dazu einen Rückgang an Schnee- und Frosttagen im Winter. Daraus folgen auch neue Gefahren wie Winterhochwasser oder das Schmelzen des Permafrostes, was zu Bergstürzen führen würde. Umso wichtiger sei ein guter Schutz. Damit verbunden sei aber auch das immer wieder neu stattfindende Einschätzen von Risiken und Gefahren, sowie das frühzeitige Erkennen derselben.

Jeder Eingriff hat Folgen
Catherine Berger zeigt mit alten und neuen Landeskarten, wie sich diese Kulturlandschaft im Saanenland entwickelt hat. Der Bau der Eisenbahnlinie oder die Erschliessung des Col du Pillon durch eine Passstrasse sind klar erkennbar, aber auch der Bauboom im Dorf Gstaad in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder der Gletscherschwund des Tsanfleurongletschers sind klar ersichtlich. Dieser ist in den letzten 170 Jahren um mehr als die Hälfte geschrumpft und erreichte im letzten Sommer einen Tiefststand: Zum ersten Mal seit mindestens 2000 Jahren war die Tsanfleuron-Passhöhe eisfrei. Eine Entwicklung, die sich laut Berger nur durch das Handeln der Menschen erklären lässt. Sie zeigt aber auch, dass schon kleinste Eingriffe des Menschen wie zum Beispiel Wildheuen grosse Auswirkungen auf die Natur haben können. Gleichzeitig biete jeder Eingriff aber auch Chancen.

Aus der Geschichte lernen
Mit dem historischen Exkurs zeigt Berger auf, dass Hochwasser auch im Saanenland schon immer ein Problem war. Ein Problem, das sich durch den Klimawandel immer stärker zeigt. Sie ging zur Gegenwart über und erzählte von der grossen Herausforderung, einen wirkungsvollen und verhältnismässigen Hochwasserschutz zu installieren. Dabei sei stets eine Vielzahl von Akteuren und Interessengruppen zu berücksichtigen.

Auch betonte Catherine Berger, wie wichtig die Geschichte ist: «Wir können nur durch die Geschichte verstehen, weshalb gewisse Dinge heute in ihrer jetzigen Form existieren.» Wichtig sei, dass wir versuchen, die Perspektive der Menschen von damals möglichst gut einzunehmen, um aus der Geschichte lernen zu können und durch sie die Gegenwart zu verstehen. Ein anderer Punkt, den die Expertin dem Publikum in Bezug auf den Klimawandel nahelegt, ist, verhältnismässig und bewusst zu leben. «Nicht alle können das gleiche Beitragen, aber jeder sollte das beitragen, was er kann», so Berger.

Dass die Geografin weiss, wie schwer es ist, alle Perspektiven und Interessen unter einen Hut zu bringen, merkt man: Der Vortrag von Berger ist lebendig und realitätsnahe. Sie stellt dem Zuhörer möglichst viele verschiedene Ansichten und Interessenbereiche vor, sodass dieser verstehen kann, welchen Herausforderungen das Politikum «Hochwasserschutz» ausgesetzt ist.

Vom Erdinnern an die Oberfläche
Auch dieses Referat in der diesjährigen Abesitz-Reihe wurde wieder musikalisch begleitet, dieses Mal vom Akkordeon-Spieler Gyorgi Spasov und seinem Schüler Maxime Lebouchard von der Musikschule Saanenland Obersimmental. Die beiden sorgten mit ihren beeindruckend flinken Fingern für eine angenehme Abwechslung. Sie zeigten eine grosse Vielfalt an musikalischen Stücken: Von klassischen Akkordeon-Liedern, über einen Tango, bis hin zu Balkanfolkloren stimmten die beiden alles an.

Dies war der zweite von drei Vorträgen von den diesjährigen Abesitza und passt in einem gewissen Sinn gut in diese Reihe: Letzte Woche wurde das, was unter der Erde ist, betrachtet, diese Woche das, was auf der Erde ist, wie Berger mit einem Augenzwinkern anmerkte. Der letzte Vortrag nächsten Mittwoch zum Thema «An stillen Wassern im Berner Oberland» reiht sich da ebenfalls ein: Die Reise geht weiter aus den Tälern des Saanenlandes in die alpinen Höhen hinauf.


DIE REFERENTIN: CATHERINE BERGER

Catherine Berger ist im Saanenland in der Bissen geboren und aufgewachsen. Sie besuchte das Gymnasium in Interlaken und studierte dann an der Universität Bern Geografie. Sie doktorierte 2010 zum Thema Murgänge, sie spezialisierte sich so auf Hochwasser- und Geoanalyse. Seit 2010 arbeitet sie als Fachexpertin für Naturgefahren (zur Zeit bei Geo7), ist in der Kommission für Hochwasserschutz vom Schweizerischen Wirtschaftsverband und doziert an der Berner Fachhochschule Gebäudeschutz gegen Naturgefahren.

NICOLAS GEISSBÜHLER


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