Erste Erkenntnisse aus der frühen Deutschförderung
27.02.2023 , Schule, Bildung, SaanenDie Kinder aus der ersten Generation im Pilotprojekt «Frühe Deutschförderung» sind inzwischen eingeschult. Ihre Kindergartenlehrerinnen haben ihren Sprachstand bewertet.
SONJA WOLF
«Wie gut spricht Ihr Kind Deutsch?» – Anfang 2021 ...
Die Kinder aus der ersten Generation im Pilotprojekt «Frühe Deutschförderung» sind inzwischen eingeschult. Ihre Kindergartenlehrerinnen haben ihren Sprachstand bewertet.
SONJA WOLF
«Wie gut spricht Ihr Kind Deutsch?» – Anfang 2021 bekamen Saaner Eltern mit künftig schulpflichtigen Kindern zum ersten Mal Fragebögen nach Hause geschickt, um die Deutschkenntnisse ihrer Kinder zu beschreiben. Inzwischen sind die Kinder aus dem ersten Durchgang der dreijährigen Pilotphase bereits im Kindergarten (siehe Tabelle). Was sagen die Kindergartenlehrpersonen? Sprechen die Kinder mit Migrationshintergrund nun besser Deutsch als Kinder aus früheren Jahrgängen? Immerhin haben sie ein Jahr lang in Spielgruppen, der Kita oder bei Tageseltern den spielerischen Umgang mit der deutschen Sprache geübt .
«Ich habe schon einen Unterschied gemerkt», sagt Kindergarten-Klassenlehrerin Felicia von Allmen von der Schule Saanen. «Man konnte von Anfang an mit den Kindern arbeiten, da sie die Grundkenntnisse etwa vom Guten-Tag-Sagen oder Hilfeanfordern schon hatten.» Auch könne sie nun längere Sequenzen unterrichten, da die fremdsprachigen Kinder dank ihrer Deutschkenntnisse länger aufmerksam blieben, ohne müde zu werden oder andere Kinder abzulenken. «Es ist sicher gut, wenn das Projekt weitergeht!», sagt von Allmen.
Die Impressionen der Lehrpersonen liegen nun in Form eines ersten Zwischenberichtes vor. Die Ergebnisse sind verhalten positiv, allerdings reicht die Datenlage noch nicht aus, um endgültige Schlüsse zu ziehen. Daher wurde vergangene Woche eine Verlängerung der Projektphase um weitere drei Jahre – bis 2027 – vom Gemeinderat bewilligt.
WIE FUNKTIONIERT DIE FÖRDERUNG?
Eineinhalb Jahre vor dem Eintritt der Saaner Kinder in den Kindergarten bekommen alle Eltern einen Fragebogen, mit dem die Sprachkenntnisse ihrer Kinder beurteilt werden. Er ist in 15 Sprachen erhältlich. Die Universität Basel wertet den Fragebogen anonymisiert aus. Kinder, die gemäss der Ergebnisse einen Bedarf an Deutschförderung haben, besuchen dann ein Jahr lang zweimal pro Woche mindestens während je zweieinhalb Stunden eine Kita, eine Spielgruppe oder deutschsprachige Tageseltern. Dies ist laut einem Reglement der Gemeinde Saanen verpflichtend und wird finanziell unterstützt. Damit erhofft sich die Gemeinde, die einen Ausländeranteil von rund 35 Prozent vorweist, Integration und Chancengleichheit zu fördern.
SONJA WOLF
DIE ERGEBNISSE IM EINZELNEN:
Das Wirkungsziel wurde im ersten Durchlauf nicht erreicht.
Laut Wirkungsziel sollten sich 80 Prozent der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache bei Kindergarteneintritt in der deutschen Sprache verständigen können. Allerdings war das tatsächlich nur bei 38 Prozent der verpflichteten Kinder der Fall, also knapp der Hälfte der anvisierten 80 Prozent. «Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Wirkungsziel von 80 Prozent nicht zu hoch angesetzt ist», gibt die Fachleiterin Soziales Saanen Béatrice Baeriswyl zu bedenken. Diese Zielgrösse wurde aus der «Integrationsagenda Schweiz» übernommen. «Auch andere Gemeinden und Kantone schweizweit, die das Konzept aktuell verfolgen, haben ähnliche Probleme.»
Die Kinder näherten sich an die deutsche Sprache an.
Im Spiel mit deutschsprachigen Altersgenossen gewöhnten sich die fremdsprachigen Kinder an die deutsche Sprache. Allerdings reichte das im Reglement geforderte Minimum von wöchentlich zwei Mal zweieinhalb Stunden Deutschförderung während zwölf Monaten nicht aus, um genügend Deutschkenntnisse zu erlangen. «Eine Erhöhung dieser Stundenzahlen scheitert aber im Moment an den Kapazitäten. Wir bräuchten mehr Betreuungsplätze», sagt die Fachleiterin Soziales Baeriswyl.
Der Wechsel von Schweizerdeutsch auf Hochdeutsch stellte ein grösseres Problem dar als angenommen.
In den Angeboten der frühen Deutschförderung – also in der Kita, den Spielgruppen und bei den Tageseltern – lernen die Kinder mit Deutschförderbedarf vor allem im Spiel mit deutschsprachigen Kindern. Das bedeutet in den meisten Fällen eine Kommunikation auf Schweizerdeutsch. Ab Kindergarteneintritt wird dann aber Standardsprache gesprochen. Dies empfanden die betroffenen Kinder in der Praxis wie das Erlernen einer Drittsprache. «Diese Problematik wurde unterschätzt und beim Festlegen des Wirkungsziels nur unzureichend berücksichtigt», lässt sich im Auswertungsbericht lesen.
Die Mitarbeit der Eltern war vorbildlich.
Bereits dreimal wurde der Fragebogen an die Saaner Eltern verschickt. Die Rücklaufquote lag bei den ersten beiden Duchläufen bei 100 Prozent, der dritte Durchlauf läuft derzeit.
Auch beim Besuch der Deutschförderangebote war die Mitarbeit der Eltern vorbildlich. Die Teilnahme ist für die betroffenen Kinder verpflichtend. Das Saaner Reglement sieht Bussen bei Nichtbeachtung vor. Allerdings konnte bisher auf diese Massnahme verzichtet werden. «Selbst bei einigen anfänglichen Widerständen konnten wir mit Gesprächen und Aufklärung unser Ziel erreichen», berichtet die Fachleiterin.
Einzelgespräche sind am zielführendsten.
Béatrice Baeriswyl hat die Erfahrung gemacht, dass sich in Einzelgesprächen mit den Eltern Missverständnisse vermeiden lassen. So konnten deutschsprachige Eltern dank der Gespräche verstehen, warum alle Personen, unabhängig vom deutsch oder fremd klingenden Namen, den Fragebogen zugesandt bekommen. Besonders effektiv sind laut Baeriswyl die unterstützenden Gespräche mit den fremdsprachigen Eltern: «Im Bestfall werden die Eltern selbst motiviert, ihr Deutsch zum Beispiel in Deutschkursen zu verbessern. Je früher sie selbst dafür sensibilisiert werden, wie wichtig die deutsche Sprache zur Integration ist, desto besser ist auch das Ergebnis für ihr Kind».