«Das Gesundheitsnetz legt den Fokus auf die ganzheitliche regionale Grundversorgung»

  21.11.2022 Gesundheitswesen, Politik, Saanenland, Gesundheitswesen, Simmental

Welches Spitalangebot darf die Bevölkerung im Gesundheitsnetz Simme Saane erwarten? Bleiben die Arbeitsplätze der verschiedenen integrierten Dienstleister erhalten? Und was passiert, wenn die Stimmbürger:innen eine finanzielle Unterstützung ablehnen? Wir haben nachgefragt.

JOCELYNE PAGE

Das Spital in Zweisimmen beschäftigt die Region seit vielen Jahren. Nun schlägt die Gesundheit Simme Saane AG mit zwei Partnern ein integratives Versorgungsmodell vor. Ist dies eine langfristige Lösung?
Stephan Hill: Das Gesundheitsnetz Simme Saane legt den Fokus nicht nur auf das Spital Zweisimmen, sondern auch auf die ganzheitliche regionale Grundversorgung. Alle Leistungserbringer stehen vor denselben Herausforderungen. Da wäre beispielsweise der Fachkräftemangel: Bereits heute kämpfen die Organisationen und Unternehmen – die später in das Gesundheitsnetz Simme Saane integriert werden sollen – mit offenen Stellen und sind auf Interimslösungen angewiesen. Ein Zusammenschluss würde dem entgegenwirken, da Synergien genutzt werden können, wie zum Beispiel beim Personalführungsbereich oder bei Leitungsaufgaben. Auch können Kräfte in der Ausbildung gebündelt werden. Zeitgleich gibt es Sparpotenzial, indem Vorhalteleistungen reduziert werden: Supportleistungen sollen organisationsübergreifend erbracht werden – nicht mehr jeder Betrieb braucht ein eigenes Finanz- oder Personalwesen. Profitieren würden insbesondere die Spitex sowie die Maternité Alpine.

Wer leitet das Gesundheitsnetz Simme Saane ab 2024?
Die Gesundheit Simme Saane AG (GSS) verantwortet und leitet das Gesundheitsnetz Simme Saane. Eine entsprechende Führungsorganisation für das Gesundheitsnetzwerk wird dafür entwickelt, wobei wir auch auf die heutigen Führungskräfte bauen.

In der Medienmitteilung ist die Rede davon, dass ab 1. Januar 2024 das Spital Zweisimmen und das Alterswohnen nicht mehr Teil der Spital STS AG sein würden und die Verantwortung vollumfänglich an das Gesundheitsnetz Simme Saane übergehe. Bleibt eine Zusammenarbeit bestehen?
Die Spital STS AG ist im Kontext der Gesundheitsversorgung auch in Zukunft an einer engen Kooperation mit dem Gesundheitsnetz interessiert. Der operative Betrieb wird dadurch sichergestellt, indem die STS AG während einer Übergangsphase von drei Jahren auf Wunsch entgeltliche Support-Service-Leistungen für das Gesundheitsnetz zur Verfügung stellt. Während dieser Übergangsphase wird die STS – anlässlich der Vermögensübertragung und/oder Verkauf – 7,5 Millionen Franken gesamthaft über drei Jahre leisten. Weitere Finanzierungen sind jedoch von Seiten STS ausgeschlossen. In Bezug auf Alterswohnen STS AG geht es ausschliesslich um die Betriebe im Obersimmental und Saanenland.

Gehen Sie davon aus, dass die Bevölkerung den finanziellen Beitrag sprechen wird?
Gemäss dem Ergebnis der vergangenen Konsultativabstimmungen geht die GSS davon aus, dass die Bevölkerung der Finanzierung von 1,5 Millionen Franken zustimmen wird.

Was passiert, sollten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die finanzielle Unterstützung ablehnen?
Falls die Gemeinden der Finanzierung nicht zustimmen, würde als Alternative ein ambulantes Gesundheitszentrum in Zweisimmen mit einer Notfallversorgung mit qualifiziertem Fachpersonal und mit Verstärkung der Rettungskette in Frage kommen, ein stationäres Angebot mit Spital und Geburtshaus wären allerdings nicht vorhanden.

Wird die Geburtshilfe im Spital wieder geöffnet, wenn das Gesundheitsnetz zustande kommt?
Das Angebot der Maternité Alpine soll in das Netzwerk integriert werden. Es wird jedoch keine Geburtshilfe im Spital eröffnet.

Welche Spitalangebote darf die Bevölkerung vom Gesundheitsnetz Simme Saane erwarten?
Das bestehende Angebot im Spital Zweisimmen wird sichergestellt und mit neuen Angeboten im stationären und ambulanten Bereich ergänzt – vorausgesetzt, der Regierungsrat setzt das Spital für die entsprechenden stationären Angebote auf die Spitalliste. Insbesondere elektive Eingriffe (Anm. d. Red.: auf einen frei wählbaren Termin hin) sollen wieder in Zweisimmen durchgeführt werden, um die Auslastung im Spital Zweisimmen zu steigern. Das Belegarztsystem wird dementsprechend ausgebaut.

Spitex, Geburtshaus, Spital: Was bedeutet der Zusammenschluss der Gesundheitsdienstleister für die Mitarbeitenden? Sind die Arbeitsplätze gesichert?
Die GSS beabsichtigt, die aktuellen Anstellungs- und Arbeitsbedingungen weiterzuführen sowie die Arbeitsplätze zu sichern. Wie alle Listenspitäler des Kantons Bern wird der neue Spitalbetreiber dem Gesamtarbeitsvertrag beitreten oder äquivalente Arbeitsbedingungen anbieten.

Wie sieht es mit dem Gebäude des Spitals aus: Sind Neubau- oder Sanierungsprojekte vorgesehen?
Das Spitalgebäude ist über 50-jährig und ist sanierungsbedürftig. Die Gesundheit Simme Saane AG prüft die Varianten Sanierung und Neubau, die zeitnah mit den Leistungserbringern abgestimmt werden müssen. Die GSS prüft verschiedene Finanzierungsmodelle. Deshalb kann zum jetzigen Zeitpunkt die Bauherrschaft nicht abschliessend bestimmt werden. Ein Neubau könnte innerhalb von drei Jahren nach der Betriebsaufnahme durch die GSS realisiert werden.

Gibt es eine Abstimmung zwischen Ihrem Vorhaben und der «Gstaad International Health»?
Die GSS steht seit 1,5 Jahren in Kontakt mit «Gstaad International Health» (GI-HAG) und der Gemeinde Saanen. Das Projekt der GIHAG ist ein anspruchsvolles und spannendes Projekt. Der GSS liegen jedoch noch keine konkreten Angaben zum Geschäftsmodell vor. In den Gesprächen geht es darum, Synergien und Kooperationsmöglichkeiten zu prüfen und eine Konkurrenzsituation zu vermeiden. Die beiden Projekte haben jedoch einen unterschiedlichen Fokus.


BRUNO GUGGISBERG, CEO DER SPITAL STS AG, IM INTERVIEW

«Wir sind an einer langfristigen, funktionierenden Lösung interessiert»

Wie kam es zum Entscheid, dass sich die Spital STS AG von Zweisimmen ablösen möchte?
Bruno Guggisberg: Wir sind an einer langfristigen, funktionierenden Lösung für die Gesundheitsversorgung Simmental-Saanenland interessiert. Mit der Absichtserklärung konnte ein Konsens zwischen den drei Parteien – wovon die Spital STS AG einer der Player ist – gefunden werden. Durch die Nutzung von Synergien und einem gezielten Ausbau von Leistungen soll gemäss GSS das Angebot nachhaltig gesichert werden. Die Spital STS AG leistet als einer der drei Partner selbstverständlich ihren Beitrag im weiteren Prozess.

Die Gesundheit Simme Saane AG spricht von Support-Service-Leistungen, welche die Spital STS AG gegen Entgelt während der Übergangsphase zur Verfügung stellt. Was darf man sich unter dem Begriff «Support-Service-Leistungen» vorstellen?
Darunter verstehen wir Serviceleistungen, welche bereits heute durch die Spi tal STS AG erbracht werden. Wie zum Beispiel Informatik, Rechnungswesen, Patientenadministration, Codierung und Leistungen in der Personaladministration.

Hat die STS AG Rückstellungen getätigt, um das Spital in Zweisimmen irgendwann zu sanieren?
Mittel für zusätzliche Rückstellungen, um beispielsweise eine Sanierung zu finanzieren, sind nicht vorhanden. Bedingt durch das tiefe Fallzahlenvolumen wurden seit Jahren grosse Defizite geschrieben. Das heisst, der stationäre und ambulante Tarif konnte die Kosten in Zweisimmen in keiner Art und Weise decken, weshalb die Spital STS AG in den vergangenen Jahren immer ein Defizit tragen musste.

Wie ist die Gefühlslage bei der Spital STS AG, sich aus dem Simmental zurückzuziehen?
Die Mitarbeitenden wurden über den Inhalt der Absichtserklärung gestern erstmalig persönlich informiert. Die Hausärztinnen und Hausärzte wurden – ebenfalls gestern – mittels Medienmitteilung erstmalig informiert.


GUNDEKAR GIEBEL, LEITER KOMMUNIKATION DER GESUNDHEITS-, SOZIAL- UND INTEGRATIONSDIREKTION DES KANTONS BERN, IM INTERVIEW

«Die integrierten Lösungen sind für alle Beteiligten sinnvoll»

Die kantonale Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion hat die Absichtserklärung mitunterschrieben. Was hat die Direktion überzeugt, das Vorhaben zu unterstützen?
Gundekar Giebel: Die GSI unterstützt das Vorhaben schon seit Beginn. Die integrierten Versorgungsmodelle sehen wir als zukunftsweisend.

Gibt es vergleichbare integrierte Versorgungsmodelle im Kanton Bern? Falls ja, wo? Und haben diese Erfolg?
Vor wenigen Wochen wurde das Réseau de l’Arc vorgestellt. Ein Public-Private-Partnership, bei dem die Spitäler von Moutier und St. Imier, die Psychiatrie, Therapeuten, Hausärzte und auch Heime zusammenarbeiten werden. Speziell an diesem Zusammenschluss im Berner Jura ist, dass die Visana Krankenkasse eine spezielle Versicherungslösung anbieten will für Personen, die sich im Netzwerk versichern wollen.

Worin sieht der Kanton Bern Potenzial im integrierten Versorgungsmodell und wo sieht er Herausforderungen?
Die integrierten Lösungen sind für alle Beteiligten sinnvoll. Egal ob Stadt oder Land. Denn dadurch werden Kosten reduziert und die Behandlungsqualität steigt, da eine Person in einem integrierten Netzwerk besser unterstützt und behandelt werden kann. Zudem werden Infrastrukturkosten reduziert und die Logistik übergreifender und dadurch effizienter. Basis sind durchgehende, schlanke, digitalisierte Prozesse und eine digitale Patientenakte.

Der Kanton Bern ist durch unterschiedliche Landschaften geprägt, die alle andere Bedürfnisse haben, so auch das Simmental und das Saanenland. Ist das integrierte Versorgungsmodell die Antwort darauf?
Ja, denn egal ob Stadt oder Land, durch Synergien und vereinfachte Zusammenarbeitsmechanismen können die Patientinnen und Patienten besser betreut werden und dadurch werden die Krankheitskosten eingedämmt.

Die Interviews wurden schriftlich geführt.

 

 


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