«Wir sind gekommen, um zu bleiben»
23.06.2025 Gesundheitswesen50 Personen, eine Person mehr als vor zehn Jahren an der Gründungsversammlung, nahmen an der zehnten Generalversammlung der Genossenschaft Geburtshaus Simmental Saanenland teil. Bereits in den traktandierten Geschäften war viel über diese Institution zu vernehmen, die ...
50 Personen, eine Person mehr als vor zehn Jahren an der Gründungsversammlung, nahmen an der zehnten Generalversammlung der Genossenschaft Geburtshaus Simmental Saanenland teil. Bereits in den traktandierten Geschäften war viel über diese Institution zu vernehmen, die «Frau» sich gar nicht mehr wegdenken könnte.
VRENI MÜLLENER
Der umfassende Jahresbericht, verfasst von Präsidentin Anne Speiser und der Co-Betriebsleiterin Susanne Reber, stand unter dem klaren Fokus: «Wir sind gekommen, um zu bleiben», auch wenn die neuesten Pläne mit dem Spital Zweisimmen die Verantwortlichen der Maternité Alpine einmal mehr vor grosse Herausforderungen stellt. Die Präsidentin ist glücklich, dass mit Susanne Reber (Hebamme) und Andrea Linder (Administration) die Co-Betriebsleitung weitergeführt werden kann. Mit Stolz verkündete Anne Speiser, dass es zwar kein Spaziergang sei, Fachkräfte zu finden, aber im Zeitalter des Fachkräftemangels alle Stellen zur rechten Zeit besetzt werden konnten. Das bewährte Team der Hauswirtschafterinnen verwöhne die Wöchnerinnen, bei Bedarf die frisch gebackenen Väter und die Mitarbeiterinnen jahraus, jahrein mit feiner Verpflegung und sorge dafür, dass sich alle rundum wohl fühlen. Das Ärzteteam rund um Nadine Kleinebekel gewährleistet mit seinem Hintergrunddienst die nötige Sicherheit. «Zusammen mit den Hebammen, der Verwaltung und dem Team des Fördervereins sind wir eine unvergleichliche Truppe», betonte Speiser mit Nachdruck. «Es fägt mit euch!» Die Präsiim engen Austausch seien, um mit aller Kraft Lösungen zu finden, damit die Geburtshilfliche Grundversorgung weiterhin abgedeckt werden könne.
Zahlen und Fakten zum Betrieb
Insgesamt wurden im Betriebsjahr 1050 ambulante Konsultationen durchgeführt, davon 372 Vorsorgeuntersuchungen von schwangeren Frauen,und 679 Besuche bei Familien zu Hause. Dabei wurden 17’936 Kilometer in der Region Simmental, Saanenland, Paysd’Enhaut und Jaun gefahren. Im Berichtsjahr wurden im Geburtshaus 52 Kinder geboren. 36 Frauen wurden nach einer Spitalgeburt im Wochenbett begleitet und betreut. Die Quote der angemeldeten Frauen, die aus einem medizinischen Grund nicht aufgenommen werden können, ist mit 53 Prozent sinkend. Die Maternité Alpine fördert mit ihren Ausbildungsplätzen den Nachwuchs. Zurzeit arbeiten zwei Praktikantinnen im Geburtshaus. «Dass eine Kinderärztin die Neugeborenen bei uns untersucht, bevor sie nach Hause gehen, ist ein gutes Beispiel, wie integrierte Versorgung aussieht», erläuterte Co-Betriebsleiterin Susanne Reber. Die meisten Rückmeldungen von Kundinnen fallen sehr positiv aus. Die fehlende Kontinuität beim Personal und die ambulante Wochenbettbetreuung werden von den Frauen unterschiedlich wahrgenommen. Dankeskarten und liebe Geschenke an die Belegschaft sprechen für sehr viele zufriedene Familien.
Dank Fondskapital eine schwarze Null
Die Jahresrechnung schliesst mit einem Minus von 171’126 Franken ab. Dank der Möglichkeit, aus dem zweckbestimmten Fonds den fehlenden Betrag zu entnehmen, kann das Jahresergebnis mit 0 Franken abgeschlossen werden. Dieses Fondskapital dient der Sicherheit für den Betrieb. Im Budget für das kommende Jahr wird mit 50 Geburten geplant und es sieht ein Defizit von gut 150’000 Franken vor. «Dank dem Fondskapital ist dieses Defizit für uns tragbar», betonte Finanzkommissionspräsidentin Andrea Schläppi, die die Zahlen gut verständlich präsentierte. Trotzdem ist die Maternité Alpine dankbar, wenn sie, wie in den letzten zehn Jahren, mit kleineren und grösseren Spenden und Zuschüssen rechnen kann.
«Und sie wussten nicht, was sie taten»
Ursula Michel moderierte die Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Bestehen des Geburtshauses. Sie beschrieb den Tag, als klar war, dass die Geburtsabteilung im Spital Zweisimmen nicht zu retten war. Wenn die damaligen Spitalkämpferinnnen gewusst hätten, was auf sie zu kommt, hätten sie wohl kaum die Gründung eines Geburtshauses auf genossenschaftlicher Basis in Angriff genommen. «Wir haben es gemacht, weil niemand grosse Bedenken hatte, das Unmögliche möglich zu machen», ist sich die erste Präsidentin der Verwaltung sicher.
Martin Rothenbühler stützte das Unterfangen mit seinen breiten wissenschaftlichen Kenntnissen. Während seinem kurzen Rückblick wurden die Erinnerungen an die Ereignisse aus dem 2015 aufgefrischt. Er lobte die viele ehrenamtliche Arbeit, die geleistet wurde. Sie mache glücklich, aber nicht reich, versicherte der damalige Tagespräsident der Gründungsversammlung und schloss mit dem Aufruf: «Freuen wir uns an diesem Teenager!»
Die Überraschung des Abends: eine Filmpremiere
Dank der Finanzierung der Amaari-Stiftung konnte der Filmemacher Stephan Hermann einen Dokumentarfilm mit dem Titel «Ein Tag im Geburtshaus Maternité Alpine» drehen, der an diesem Abend zum ersten Mal gezeigt wurde. Der Film zeigt die Hebamme Hannah Niederberger aus Münsingen während einem Arbeitstag im Februar. Die Sängerinnen des Frauenchors Saanen-Gstaad umrahmten die Jubiläumsfeier mit passend ausgesuchten Liedern. Ein feiner Apéro rundete den warmen Sommerabend ab
KENNZAHLEN DER MATERNITÉ ALPINE
2017 bis Ende 2024
– 190 Paare besuchten die Geburtsvorbereitungskurse
– 2800 Schwangerschafts-Vorsorgeuntersuchungen fanden statt
– 427 Kinder wurden geboren
– 5200 stationäre Pflegetage nach der Geburt wurden geleistet
– 269 Frauen und Neugeborene wurden nach der Geburt im Spital im stationären Wochenbett in der Maternité Alpine betreut
– 4500 Wochenbettbesuche fanden zu Hause statt und dabei wurden – 119’000km gefahren
– 950 Konsultationen im geburtshilflichen Dienst
– Total >8200 ambulante Konsultationen
AM RANDE…
Wie wichtig die Maternité Alpine für die Frauen in der Region ist, zeigen die Daten seit Betriebsbeginn. Obschon nicht alle zur Geburt angemeldeten Frauen aus medizinischen Gründen aufgenommen werden können, ist die Nutzung des statio
nären Angebotes in der Maternité Alpine hoch. Im Median wurden 60 Prozent der stattgefundenen Geburten der Gemeinden des Obersimmentals und des Saanenlandes stationär unter der Geburt und/oder im Wochenbett im Geburtshaus betreut.
PD
MARIANNE HAUETER, FRAU DER ERSTEN STUNDE DER MATERNITÉ ALPINE, IM INTERVIEW
«Jemand glaubte an den Erfolg unseres Projekts»
VRENI MÜLLENER
Vor zehn Jahren wurde die Genossenschaft Geburtshaus Maternité Alpine gegründet. Marianne Haueter, Sie sind Hebamme und gelten als die Frau der ersten Stunde. Wie ist das gekommen?
Die Maternité Alpine ist nach dem verlorenen Kampf der Bevölkerung für den Erhalt der Geburtshilfe im Spital Zweisimmen als Selbsthilfeprojekt entstanden. Heute sind wir stolz darauf, dass wir trotz schwierigen Bedingungen nach viel ehrenamtlicher Arbeit dieses Jubiläum feiern können.
Wie haben Sie die Gründungsversammlung der Genossenschaft in Erinnerung?
Die Gründer:innengruppe mobilisierte mitten im Sommer 2015 möglichst viele Leute aus den beiden Talschaften Simmental und Saanenland, wie auch aus dem Unterland. 49 Anwesende konnten sich in kürzester Zeit auf die Statuten einigen, eine Mitgliedschaftsliste wurde erstellt und noch am gleichen Abend, gegen Mitternacht, wurde das Gründungsprotokoll genehmigt.
Wie ging es weiter?
Wir waren ja nicht die ersten, die ein Geburtshaus gründen wollten. Vielleicht hätte es andernorts brauchbare Vorlagen gegeben. Es liess sich damals niemand gerne in die Karten blicken, schon gar nicht gratis. Also entwickelten wir die nötigen Unterlagen selber, zogen viel Fachliteratur bei – ohne wesentliche Hilfe von aussen. Ohne diese Leitbilder, Konzepte, Handbücher, Richtlinien und Reglemente wäre eine Anerkennung und Betriebsbewilligung durch den Kanton nicht möglich gewesen.
Was hat Sie ermutigt, weiterzumachen?
Der grosse Rückhalt in der Bevölkerung. Ohne Ehrenämter und Spenden würde es das Geburtshaus nicht geben. Die finanzielle Starthilfe in Form von zinslosen Darlehen, Anteilscheinen von Genossenschafter:innen, Beteiligungen der Gemeinden und Stiftungen waren für uns wichtige Signale: Jemand glaubte an den Erfolg unseres Projekts. Mit kreativen Aktionen und praktischer Soforthilfe ging es im Schnellzugstempo der Realisierung entgegen. Einrichtungen und Ausstattung wurden kostengünstig erstellt und umgesetzt. Für fachliche Hilfe und Know-how beim Start wurde längst nicht alles in Rechnung gestellt. Ende Dezember empfingen wir an einem Tag der offenen Tür die Gemeindebehörden und die werdenden Eltern. Am 1. Januar 2017 wurde die Maternité Alpine eröffnet und am 7. Januar wurde dort das erste Kind geboren.
Sie amteten während Jahren als Hebamme und Co-Betriebsleiterin in der Maternité. Nun sind Sie in den Ruhestand getreten. Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft «Ihres» Geburtshauses?
Ich hoffe und wünsche mir, dass die wohnortsnahe, geburtshilfliche Grundversorgung die Ökonomisierung und Zentralisierung überleben wird. Die Maternité Alpine ist ein Beispiel für einen attraktiven, sinnstiftenden Arbeitsort für verschiedene Berufsgruppen.