«Wir brauchen kein Geld von der Bevölkerung, nur ihren Goodwill»
18.05.2023 GesundheitswesenBARBARA HERBERT, VERWALTUNGSRATSPRÄSIDENTIN, UND DR. RALPH KRAY, CEO UND DELEGIERTER DES VERWALTUNGSRATES DER GSTA AD INTERNATIONAL HEALTHCARE AG (GIH AG)
Die Gstaad International Healthcare AG will eine kleine, hochmoderne Privatklinik auf medizinischem ...
BARBARA HERBERT, VERWALTUNGSRATSPRÄSIDENTIN, UND DR. RALPH KRAY, CEO UND DELEGIERTER DES VERWALTUNGSRATES DER GSTA AD INTERNATIONAL HEALTHCARE AG (GIH AG)
Die Gstaad International Healthcare AG will eine kleine, hochmoderne Privatklinik auf medizinischem Topniveau in Saanen errichten. Erstmals sollen Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation unter einem Dach vereint werden. Darin integriert soll es – neben einer patientenorientierten Fünfsternehotellerie für die Privatpatienten – für die lokale Bevölkerung eine Gemeinschaftspraxis geben. Auch allgemeinversicherte Patienten können von gewissen Bereichen des Angebotes der Privatklinik profitieren. Und dies an 365 Tagen im Jahr, während 24 Stunden an sieben Tagen. Der CEO der Gstaad International Healthcare AG und Delegierte des Verwaltungsrats, Dr. Ralph Kray, und Verwaltungsratspräsidentin Barbara Herbert stellen sich kurz vor der Abstimmung über das Projekt an der Gemeindeversammlung vom 9. Juni unseren Fragen.
KEREM S. MAURER
Ralph Kray (RK), was macht diese Privatklinik so speziell?
RK: Unsere Klinik ist ein Mikrohospital. Wir bieten Universitätsmedizin auf höchstem Niveau in einem kleinen Spital mit nur 45 Betten an. Und dies von der Diagnostik über die Behandlung bis hin zur Rehabilitation. Alles unter einem Dach – das gibt es sonst nirgends.
Was genau bieten Sie an?
RK: Wir beginnen mit einem Check-up, der in der Diagnostik sehr tief geht. Wir wollen nicht erst eine Krankheit diagnostizieren, wenn sie schon ausgebrochen ist, sondern bereits die Disposition einer Krankheit, also die genetische und epigenetische Bedingung einer möglichen Erkrankung, erkennen. Also Frühestdiagnose, sozusagen. Und das Zweite ist dann die entsprechende Prävention oder Behandlung.
Einheimische können von dieser Diagnostik profitieren. Sie werden durch Hausärzte, Ärzte der Gemeinschaftspraxis oder der Gesundheit Simme Saane AG (GSS) und anderer Partner der Gesundheitsversorgung in der Region an die Klinik überwiesen. In Zusammenarbeit mit den einweisenden Ärzten wird eine Triage vollzogen und nach Befund entschieden, wo eine Weiterbehandlung stattfinden soll. Ist die Gemeinschaftspraxis geschlossen, stellt die Klinik eine Erstversorgung sicher, sodass diese an 365 Tagen rund um die Uhr gesichert ist.
Welche Art von Behandlungen werden in der Privatklinik durchgeführt?
RK: Wir nehmen uns Behandlungsformen vor, die in der Schweiz und in unserem Wettbewerbsumfeld funktionieren. Das heisst zum Beispiel spezielle Chemotherapien, internistische Behandlungen im Bereich Brustkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern. Oder Infusionstherapien im Bereich Kardiologie und schwerpunktmässig in der Neurologie, aber auch Demenzfrüherkennung und -behandlungen.
Barbara Herbert (BH), Infusionstherapien sind keine Operationen. Wird es in Ihrer Klinik einen Operationssaal geben?
BH: Nein, ein Operationssaal ist bei uns nicht vorgesehen. Das unterscheidet uns auch von der GSS mit dem Gesundheitscampus. Deshalb ergänzen sich die beiden Projekte so gut.
Ohne OP können Sie mit Ihrer Klinik keine Grundversorgung anbieten...
BH: Nein, wir müssen das auch nicht, aber wir können einen grossen Beitrag leisten, um bei der Grundversorgung ein besseres Endresultat zu erzielen. Unsere bildgebenden Geräte, die ganze Diagnostik und auch die Labore können dazu genutzt werden.
RK: Wir möchten den für die Grundversorgung verantwortlichen Personen die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen. Stellen Sie sich vor, wir haben hier eine Gemeinschaftspraxis mit vier oder fünf Ärzten mit diesen Möglichkeiten.
Werden denn diese Leistungen, die aus Bereichen der Privatklinik stammen, von den Krankenkassen übernommen?
RK: Ja, wenn wir mit dem Kanton mit unseren Leistungen hinsichtlich der Spitallisten übereinkommen, ist das problemlos möglich.
Wer wird denn diese Gemeinschaftspraxis betreiben?
RK: Wir werden der Gemeinde Saanen Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, die sie unter anderem für diese Praxis nutzen wird. Wer diese betreibt, ist nicht unsere Entscheidung. Aber wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit und einen regen Austausch. Auch andere Gesundheitsdienstleister wie zum Beispiel die Spitex werden einen Platz in diesen Räumlichkeiten bekommen.
Können sich die Spitex oder andere Anbieter Ihre Räumlichkeiten überhaupt leisten?
BH: Das muss und wird so sein. Die Spitex war eine der Voraussetzungen, das war von Anfang an klar. Wie gesagt, das läuft alles über die Gemeinde Saanen, sie wird in diesem Bereich für die Preisgestaltung zuständig sein.
Sie sagen, dass Einheimische Ihre Angebote teilweise nutzen können. Kann sich denn die internationale Ärzteschaft Ihrer Klinik mit den Einheimischen verständigen?
RK: Die Ärzte der mit uns verbundenen Gemeinschaftspraxis sprechen Deutsch. Und 90 Prozent der Interaktionen mit der lokalen Bevölkerung werden in der Gemeinschaftspraxis stattfinden, wo die lokalen Ärzte arbeiten. Wir werden deutschsprachige Ärzte auch in der Klinik beschäftigen und in jedem Einzelfall dafür unbedingt sorgen, dass sich Arzt und Patient gut sprachlich verstehen. Wir haben drei Arbeitsbereiche: Im telemedizinischen Bereich arbeiten in der Regel Amerikaner. Dann gibt es einen Bereich, in dem Gastexperten oder Professoren für bis zu 90 Tage kommen, zum Beispiel zwecks Aus-und Weiterbildung oder Forschung. Und im dritten Bereich arbeiten Ärzte aus der Schweiz, aus Europa oder Übersee. Jeder Arzt, der hier praktizieren will, muss von der Schweiz anerkannt sein, sonst wird ihm ein in der Schweiz anerkannter Arzt, etwa zur Co-Befundung im Einzelfall, immer zur Seite gestellt. Bei Bedarf werden wir dafür sorgen, dass die Verständigung klappt.
Wie steht es mit der Behandlungskette, wenn der behandelnde Arzt nach einiger Zeit vielleicht abreist?
BH: Die Ärzte, die bei uns arbeiten, sind hier angestellt. Sie leben und wohnen in der Region. Wir haben keine Belegärzte, die etwas anfangen und dann wieder weggehen.
Sie sprechen in Ihren Unterlagen von einer «voll digitalen Klinik». Was muss man sich darunter vorstellen? Werden die Röntgenbilder in den USA ausgewertet und die Medikamente von einem Pflegeroboter gebracht?
RK: Befundung und Diagnostik finden immer vor Ort durch unsere Ärzte statt. Es kann im Sinne einer Zweitmeinung vorkommen, dass ein amerikanischer Arzt zugezogen wird. Aber es wird nicht nur in den USA ein Bild befundet oder ein Fall bewertet. Wir werden in der Klinik und hoffentlich im hiesigen Versorgungsnetzwerk des Saanenlandes und der Region insgesamt sicher mit elektronischen Patientenakten arbeiten, die vom Hausarzt über die Gemeinschaftspraxis bis zu uns oder den Triagepartnern konsultiert werden können. So sorgt man heutzutage zum Beispiel für eine saubere und gute Überleitung ohne Komplikationen.
BH: Unsere Philosophie, wie hier ein Mensch behandelt wird, ist ganz bestimmt nicht, dass er von einem Roboter gepflegt wird. Wir möchten, dass die Menschen, die in den Pflegeberufen arbeiten, genau das tun, wofür sie ausgebildet worden sind: nämlich sich um die Patienten zu kümmern. Der Roboter als Pflegender? Gott sei Dank, nein!
RK: Es gibt natürlich den Einsatz von künstlicher Intelligenz, KI. Zum Beispiel, wenn anonymisierte Falldaten zu Diagnose- oder Forschungszwecken analysiert werden. Wenn eine bestimmte Form von Nervenentzündung festgestellt wird, will man natürlich wissen, wo diese in ähnlicher Konstellation schon aufgetreten ist und erfolgreich therapiert wird. KI ist da, um die Fachkraft zu unterstützen, damit diese mehr Zeit hat, sich um ihre Patienten zu kümmern. Die Ärzteschaft und die Pflegenden werden dadurch wesentlich durch die KI entlastet. Digitalisierung sorgt für mehr Zeit für den Patienten selbst.
Genau. Wenn Fachkräfte da sind. Stichwort Fachkräftemangel: Das Spital Zweisimmen hat kürzlich die OP-Tätigkeiten infolge Personalmangels reduziert. Wo nehmen Sie Ihre Fachkräfte her?
RK: Aus dem grossen Pool unseres hervorragenden Netzwerkes. Dort gibt es Fachpersonal. Zudem wissen wir, dass die mit uns eng zusammenarbeitende US-Universität mit ihrer hoch qualifizierten Medizin auf sehr viele Fachkräfte eine Magnetwirkung erzielen wird.
Wie viele Mitarbeitende wollen Sie denn beschäftigen?
RK: Wir werden klein starten. Aber wir haben einen guten Patient-Arzt- und Patient-Pflege-Schlüssel. Es soll für jeden Patienten angemessen viel Zeit für die Pflege eingerechnet werden. Wir werden an die 100 neue Stellen schaffen. Aber vieles ist noch im Gespräch.
Und wo sollen diese wohnen? Bezahlbarer Wohnraum ist in unserer Region ein seltenes Gut.
BH: Unsere zukünftigen Mitarbeitenden werden niemandem eine Wohnung wegnehmen. Dafür wird gesorgt. Das ist ein wichtiges Thema in unserer Planung.
Wie sehen Sie die Situation mit der Gesundheit Simme Saane AG (GSS)? Sind Sie Konkurrenten oder brauchen Sie einander?
BH: Ich sehe da keine Konkurrenzsituation. Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir kooperieren können. GIH und GSS können für sich allein existieren, keiner ist auf den anderen angewiesen und beide haben ihre Daseinsberechtigung. Wenn am Ende beide realisiert werden, wäre dies ein ungeheurer Mehrwert für die ganze Region – wir sehen eine ganze Reihe von Synergien. Denken Sie beispielsweise an unsere bildgebenden Geräte, die auch von der GSS genutzt werden können.
Reden wir zum Schluss noch über Geld. Steht die Finanzierung für Ihr Projekt?
RK: Es ist ein sehr anspruchsvolles Projekt und wir sind mit seriösen Investoren aus dem In- und Ausland im Gespräch.
Also noch keine definitiven Zusagen?
BH: Bevor das Land, auf dem wir bauen wollen, noch nicht gesichert ist, machen keine Investoren definitive Zusagen. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um an die Öffentlichkeit und an die Stimmbürger zu gelangen. Wir fragen sie: «Sind Sie dafür, dass wir unser Projekt verwirklichen können?»
Und wenn das Stimmvolk am 9. Juni Ja sagt zu Ihrem Projekt?
BH: Dann geht alles schnell und wir werden in die nächste Verhandlungsrunde eintreten.
Was kostet eigentlich der Bau der Privatklinik? Es geisterte in diesem Zusammenhang ein «dreistelliger Millionenbetrag» durch die Medien. Können sie konkreter werden?
RK: Diese Frage können wir erst im Detail beantworten, wenn wir alles mit den Investoren geklärt haben.
Wie hoch werden die jährlichen Betriebskosten ausfallen? Müssen allenfalls die Gemeinden oder der Kanton ein Defizit tragen?
BH: Nein, bestimmt nicht! Wir sind ein selbstständiges Wirtschaftsunternehmen. Es liegt an uns zu schauen, dass wir Erträge, Kosten und Bilanz im Griff haben. Uns müssen weder der Kanton noch die Gemeinden helfen. Was wir brauchen, ist der Goodwill der Bevölkerung, die Zusage, dass wir das Land gegen Abgeltung zur Verfügung gestellt bekommen, aber kein Geld und keine Defizitgarantien. Die GIH AG ist eine Privatklinik, die nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt wird, wie jedes KMU hier im Saanenland.
ZUR PERSON
Barbara Herbert, Verwaltungsratspräsidentin und Aktionärin der Gstaad International Healthcare AG, stammt aus Deutschland und kam mit ihrem Mann 1999 zum ersten Mal nach Gstaad in die Ferien. Sie haben sich vom Fleck weg ins Saanenland verliebt und entschieden nach der Übergabe ihres Familienunternehmens an die jüngere Generation, sich im Saanenland niederzulassen. «Die Berge, die Skipisten, die Landschaften, alles ist so wunderschön hier», schwärmt sie. Seit Jahren beobachtet sie die Entwicklungen im Gesundheitswesen, die auch bei vielen Gesprächen in ihrem Bekanntenkreis immer ein Thema war. Als sich ihr die Gelegenheit bot, bei Gstaad International Healthcare mitzumachen, hat sie sich sofort dazu bereit erklärt. Wenn man sich fit fühle, wieso solle man nicht auch geben, wenn man doch auch immer nehme, fragt sie sich. «Zusammen mit einer der besten Universitätskliniken der Welt wollen wir in der Region eine hohe Qualität an medizinischer Betreuung schaffen, die dem hervorragenden Ruf von Gstaad entspricht. Diese Klinik passt zu uns im Saanenland», ist sie überzeugt.
KEREM MAURER
ZUR PERSON
Dr. Ralph Kray ist CEO der Gstaad International Healthcare AG und Mitglied des Verwaltungsrats. Er stammt aus einem kleinen Dorf in Deutschland und kennt die ländliche Mentalität. Aufgewachsen in einer Welt ohne Handy und Internet, hatte er sich immer gefragt, wie es wohl hinter den Bergen weiter gehe. Diese Neugier führte ihn nach Amerika, wo er für die Johns-Hopkins-Universität als Koordinator für Europa und Amerika in Sachen Public Health mit den Schwerpunkten Universitätsmedizin und Industrieprojekte tätig war. Daraus ergab sich eine Lehrtätigkeit für internationales Healthcare Management. Mit Umwegen über Berlin und Wien kam er nach Bern, wo er sich im Generalsekretariat der Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion des Kantons Bern und in der Standortförderung der Frage widmete, wie man den Kanton Bern als medizinischen Standort stärken könne. Er wurde gefragt, was man aus dem 2012 geschlossenen Saaner Spital machen könnte. «Ich wünsche mir, dass wir eine kleine, sehr moderne, voll digitalisierte und bevölkerungsnahe Klinik im Saanenland mit der Expertise einer Weltuniversität aufbauen», sagt er.
KEREM MAURER