Ein A-cappella-Chor von Weltrang in der Kirche Lauenen und ein Solorezital in Rougemont mit einer Geigerin und Komponistin von prägnanter, musikalischer Persönlichkeit. Am Gstaad New Year Music Festival wird Abwechslung und Diversität ganz bewusst programmiert.

ÇETIN KÖKSAL
Der von der «Times» als phänomenal beschriebene «Tenebrae»-Chor machte am 28. Dezember des soeben vergangenen Jahres seine Aufwartung in der pittoresken Kirche Lauenen. Im warmen Schein des Kerzenlichts trugen die Sänger unter der Leitung von Nigel Short weihnachtliche Werke verschiedenster Komponisten vor.

Mit «Veni, veni Emmanuel» von Adrian Peacock eröffneten sie den feierlichen Gesang auf der Empore, bevor sie sich dann gemächlichen Schrittes in den Chor der Kirche bewegten. Es folgten besinnliche Stücke, unter anderem von Joanna Forbes l’Estrange, Owain Park, Elizabeth Poston oder Joseph Phibbs. Nigel Short, ehemaliges Mitglied der «The King’s Singers», gründete 2001 den virtuosen «Tenebrae»- Chor mit dem Ziel, die jeweiligen Vorteile eines grossen Kirchenchors und eines Kammerchors zu vereinen. Unbestritten ist ihm dies aufs Eindrücklichste gelungen. Die Präzision, das feine Austarieren der verschiedenen Stimmlagen und die daraus resultierenden Harmonien waren schlicht atemberaubend.

A-capella-Gesang, d.h. das Zusammensingen ohne jegliche Instrumentalbegleitung (jedenfalls ab dem 19. Jahrhundert), ist auch in Bezug auf die Intonation überaus herausfordernd. Man hört sofort jede auch noch so geringe Unreinheit. Die hervorragenden, sich ideal ergänzenden Sänger von «Tenebrae» schienen damit nicht das geringste Problem zu haben – sogar geschulte Ohren konnten während des gesamten Konzerts kein einziges kleines Intonationsunglück feststellen. Sympathisch ist zudem, dass «Tenebrae» Workshops für Jugend- und Amateurchöre anbietet und im heimischen England regelmässig Primarschulklassen zum gemeinsamen Singen besucht. Weltklasse kann sehr nahbar und bodenständig sein.

Echo of Bach
Das traditionelle Bachkonzert des Festivals bestritt am nächsten Tag Agata-Maria Raatz mit einem anspruchsvollen Soloprogramm. Die vielseitige Musikerin eröffnete dieses mit ihrer Eigenkomposition «Introduction», in Anlehnung an die 2. Partita von Bach. Nahtlos ging sie über zur «Allemande» aus der Suite für Violine Solo Nr. 5 in D-Moll des Komponisten Johann Paul von Westhoff. Nach gründlicher Anlyse der Partitur kam Frau Raatz zum Schluss, dass der etwas ältere Westhoff den berühmten Komponistenkollegen Johann Sebastian Bach mindestens durch seine Werke gekannt haben musste. Zu sehr ähnelten sich Aufbau und Struktur gewisser Stücke. Wer in der Kirche Rougemont dabei war, durfte feststellen, dass die «Allemande» von Westhoff etwas leichter, «frischer» ist als diejenige aus der Feder des Kompositionsgenies Bach.

Agata-Maria Raatz komponiert selbst auch, was insbesondere in ihrer Bachinterpretation zum Ausdruck kommt – ihre fundierte Kenntnis der Partitur zeigt sich unweigerlich im Verständnis für das Werk. Unprätentiös, klar und mit warmem Klang führte sie das Publikum durch die lange Partita. Gebannt folgte jenes der Geigerin, die es verstand, den Spannungsbogen zu halten und die Zuhörenden nie zu verlieren. Im letzten Satz, der oftmals auch separat gespielten Chaconne, kulminierte ihr Können und Werksverständnis in musikalischer Höchstleistung. Selten wird dem Konzertbesucher heute eine solche Chaconne geboten.

Agata-Maria Raatz Eigenkomposition «Cremona Virus» holte dann die Zuhörerschaft aufs Angenehmste wieder in bodenständigere Gefilde und überraschte mit neu zu entdeckenden Geigenklängen. Mit «Cremona Virus» hat die Musikerin den ersten Preis in Komposition an der Manhattan International Music Competition 2023 gewonnen, was ihr einen Konzertauftritt in der legendären Carnegie Hall in New York bescherte (wir berichteten im Sommer in dieser Zeitung darüber). Als Abschlussfeuerwerk wählte Agata-Maria Raatz die äusserst virtuose «Paganiniana» von Nathan Milstein. In diesen Variationen vereinte dieser grosse Geiger des letzten Jahrhunderts die schwierigsten Passagen aus Niccolò Paganinis – sowieso schon technisch anspruchsvollen – Geigen-Kompositionen. Raatz überzeugte auch da mit stupender Beherrschung ihres schönen Instruments.

Viele singende Stimmen und eine singende Geige

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