Hochkarätige Kirchenkonzerte und Elektrogeiger auf dem Eggli
08.07.2024 KulturAm kommenden Freitag startet das Gstaad Menuhin Festival & Academy in seine 68. Ausgabe. Artistic Director Christoph Müller schaut mit uns auf die kommenden Festivalwochen. Neben glanzvollen Namen international gefeierter Künstlerinnen und Künstler hält es auch ...
Am kommenden Freitag startet das Gstaad Menuhin Festival & Academy in seine 68. Ausgabe. Artistic Director Christoph Müller schaut mit uns auf die kommenden Festivalwochen. Neben glanzvollen Namen international gefeierter Künstlerinnen und Künstler hält es auch Transformation in Reinform bereit.
JENNY STERCHI
Christoph Müller, Ende dieser Woche wird das 68. Gstaad Menuhin Festival eröffnet. Titel der diesjährigen Ausgabe ist Transformation im Rahmen des drei Jahre währenden Zyklus «Wandel». Wie viel Transformation hat das Festival Ihrer Ansicht nach seit seiner Premiere bereits erlebt?
Ein Festival muss und soll ständig im Wandel sein. Verharren im Status Quo bedeutet Stillstand. Wir sind in einer sich rasend schnell bewegenden Zeit und es ist ein sehr natürlicher Vorgang, dass sich auch ein Klassikfestival wandelt.
Glauben Sie, dass es einfacher ist, Künstlerinnen und Künstler für ein Festival, das sich diesem Zeitgeist anschliesst, zu gewinnen?
Das Verständnis für die Anliegen eines ressourcenschonenderen Festivals ist gerade bei grossen Orchestern sehr gross und Tourneen werden auffällig anders geplant und gedacht als vor der Pandemie, ja. Wir laden aber Künstler nie wegen dieser Haltung ein, sondern immer aufgrund der musikalischen und künstlerischen Argumente. Aber wir versuchen, die Themen rund um die Anreisen und den Aufenthalt mit einer gewissen Priorisierung in die Verhandlungen miteinzubinden.
«Die Klassikwelt geht zurzeit durch eine Phase des Umbruchs. Um Menschen anzusprechen und langfristig abzuholen, braucht es einen Wandel und Transformationen von Konzertformen.» So formulieren Sie es in Ihrem Vorwort zum diesjährigen Festivalprogramm. Wird dieser Wandel in diesem Sommer in Gstaad schon spürbar? Und wenn ja, an welchen Stellen?
Rund 20 Prozent unseres Konzertangebots sind geprägt durch neue, durchaus ungewöhnliche Konzertformen und Konzertformate oder Stilmixe, die vom traditionellen Bild eines Klassikfestivals etwas abweichen. Ich präsentiere jedoch solche Projekte bereits seit 2003 in meinem Zyklus «Today’s Music», in diesem Jahr aber ausschweifender und ergänzt durch zusätzliche Erweiterungen, wie dem neuen Spielort auf dem Eggli. Die Aussichtsterrasse dort wird zur Bühne für ein Doppelkonzert der anderen, unkonventionellen Art. Das «Vision String Quartet» spielt im Stehen und ohne Noten – und das bei Bloch und Schostakowitsch als «Klassiker» des 20. Jahrhunderts. Danach werden die vier Berliner auf die Jazz- und Folk-Sphären ihres Albums «Spectrum» zusteuern und damit den fliessenden Übergang in das Live-Electronic-Event mit DJ und Elektrogeiger Seth Schwarz gestalten. Der zunächst klassisch ausgebildete Geiger schafft es, mit seiner Kunst auf Beats und Melodien zu improvisieren, während er Inspiration aus den verschiedensten Stilen und Genres wie House, Techno oder Elektro schöpft. Für diesen Anlass kooperieren wir mit dem Verein Plausch Events, der Veranstaltungen für die Jungen und die Junggebliebenen in der Region organisiert. Das wird auf jeden Fall spannend.
Die traditionelle Konzertform ist jedoch bei vielen Festivalbesuchenden tief verwurzelt. Worauf dürfen sie sich freuen während der Festivalwochen?
Ja, die hochkarätigen Kirchenkonzerte mit Barock-, Klassik- und Romantikprogrammen und die sinfonischen Konzerte im Festivalzelt bilden das Rückgrat unseres Angebots, und das wird auch so bleiben.
Müssen so grosse Namen wie Jonas Kaufmann, Hélène Grimaud, Vilde Frang oder Daniel Hope – um nur einige zu nennen – überhaupt beworben werden? Sind sie nicht Garanten für volle Häuser?
Es geht ja in unserer Kommunikation nicht immer nur um Namen und Stars, sondern auch um Inhalte. Wir möchten, dass die Menschen wegen Grimauds Brahms und Beethoven kommen oder wegen Kaufmanns Tristan von Wagner und nicht nur weil sie Superstars sind. Daher kommunizieren wir alle Konzerte, egal ob es sich um Stars oder Newcomer handeln. Da wir im Festivalzelt mit 1800 Plätzen eine hohe Kapazität haben, sind Konzerte nicht sogleich ausverkauft. In den Kirchenkonzerten sind die guten Sichtplätze der ersten und zweiten Kategorie tatsächlich oft schon sehr früh vergeben, worüber wir uns natürlich freuen.
Immer wieder leuchten auch Musikerinnen und Musiker, die gerade am Anfang ihrer Karriere stehen, in Gstaad auf. Woher wissen Sie jeweils, dass genau jene die Neugierde beim Publikum wecken?
Mein Bauchgefühl. Mit dem Projekt «Menuhins Heritage Artists» zum Beispiel wählte ich jeweils vier bis fünf Künstlerinnen und Künstler aus, die wir je fünf Festivalausgaben lang begleiten. Einige dieser ehemaligen Newcomer sind nun arrivierte Stars geworden wie Nemanja Radulovic, Bomsori Kim oder Andreas Ottensamer, um nur einige zu nennen. Es ist eine grosse Befriedigung für uns, wenn diese spannenden Figuren durch dieses Programm mittlerweile fast Identifikationsfiguren geworden sind. In den vergangenen Jahren haben wir über diese Projekte bestimmt 20 bis 30 Namen aufgebaut und entwickelt, die mittlerweile ein eigenes Publikum anziehen bei uns.
Wer das Programm genauer betrachtet, sucht vergebens nach den komischen Momenten auf der Klassikbühne, wie sie letztes Jahr Igudesman & Joo oder das Janoska Ensemble lieferten. Haben wir da etwas übersehen?
Music und Comedy habe ich tatsächlich dieses Jahr weniger programmiert, wobei viele Projekte wahre Entertainmentelemente mitbringen wie zum Beispiel das «Breakin’ Mozart»-Projekt oder die Konzertabende am neuen Spielort auf dem Eggli. Dort wird es den Swing-Abend mit der Band von Andrej Hermlin sowie den eben schon erwähnten «Vision-String-Quartet»-Abend mit dem anschliessenden Electronic Event geben.
Wen darf man in diesem Festivalsommer keineswegs verpassen?
Es gibt aufregende Debuts, wie jenes des japanischen Klassik-Jazz-Pianisten Hayato Sumino oder des jungen Klavierüberfliegers Yunchan Lim. Sumino hat als «cateen» auf Youtube ein Millionenpublikum. Für mich sind aber die beiden Sinfoniekonzerte mit dem London Symphony Orchestra, einem Weltklasseorchester mit Holsts «Planets» und Mahlers 1. Sinfonie sowie die 7. Bruckner unter der Leitung von Jaap van Zweden mit dem Gstaad Festival Orchestra die Höhepunkte. Dass wir solche Programme hier erleben können, macht mich sehr glücklich.
Was können Sie zum Eröffnungskonzert verraten?
Der Chor «Collegium Vocale Gent» aus Belgien ist meiner Ansicht nach der beste Chor Europas und sein Leiter, Philippe Herreweghe eine Legende und ein «Papst» der Klassik und des Barocks. Was für ein Privileg, diese Künstler in Kombination mit der Camerata Salzburg für das Doppelkonzert des Eröffnungswochenendes zu haben.
Die Academy ist ein bedeutender Teil des Festivals geworden. Wie ist die Nachfrage für die Plätze in den diesjährigen Academies?
Die Anfragen der Studierenden übersteigen das Angebot immer um ein Vielfaches und es braucht bei allen Academies einen Auswahlprozess. Dies zeigt, wie hoch mittlerweile der Stellenwert der Gstaad Academy in der Musikwelt ist.
Sind die Konzertbusse noch im Einsatz, die in der Vergangenheit auch Besuchende aus den grossen Städten ins Saanenland brachten?
Ja, wir führen weiterhin Konzertbusse ab Bern, Lausanne und sogar in Zürich kann man zusteigen. Mit diesem Angebot gehen wir aktiv auf das Publikum zu, denn eine gemeinsame Anreise mit dem Bus ist nachhaltiger als die individuelle Anreise. Dieses Jahr haben wir aber auch erstmals eine Kooperation mit der SBB, so dass die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr für Ticketinhaber zu vergünstigten Konditionen angeboten werden kann.
Wie läuft der Ticketverkauf für die Festivalkonzerte bis jetzt?
Der Vorverkauf läuft gut, aber wir hoffen, dass wir vor allem für die Konzerte im Zelt und in der zweiten Festivalhälfte ab Mitte August noch zulegen können. Bisher hat aber noch kein Sommer stattgefunden und die Menschen kommen erst allmählich in das Feeling der Festivalatmosphäre. Wir freuen uns, dass es bald los geht.