Die «Landsgemeinde» stellte Forderungen an die Spitalverantwortlichen
20.06.2025 GesundheitswesenDer Organisator der am Samstag, 14. Juni in Därstetten veranstalteten «Berner Oberländer Landsgemeinde», Nationalrat Thomas Knutti (SVP, ehemaliger Gemeindepräsident Därstetten), stellte gleich zu Beginn der Veranstaltung die Stossrichtung klar: ...
Der Organisator der am Samstag, 14. Juni in Därstetten veranstalteten «Berner Oberländer Landsgemeinde», Nationalrat Thomas Knutti (SVP, ehemaliger Gemeindepräsident Därstetten), stellte gleich zu Beginn der Veranstaltung die Stossrichtung klar: «40’000 Unterschriften wurden innert zwei Monaten für die Erhaltung der Geburtenabteilung in Frutigen gesammelt und fast 10’000 Unterschriften für die Erhaltung der Chirurgie im Spital Zweisimmen.» Und er legte nach: «Nehmen Sie diesen Auftrag der Bevölkerung bitte ernst: Zeigen Sie Mut… geben Sie unseren Spitälern eine Chance.»
Damit war das Thema des Samstagvormittags klar umrissen: Sich Gehör zu verschaffen, wo man sich als Bevölkerung mehrheitlich übergangen fühlt.
Historische Bezüge und Zukunftsängste
Es gelang Knutti dabei sehr gut, an historische Fakten anzuknüpfen: Tatsächlich erlangten die Urner schon 1231 vom Sohn Kaiser Friedrichs II, dem deutschen König Heinrich VII, die sogenannte Reichsunmittelbarkeit, welche ihnen 1274 auch von Rudolf von Habsburg bestätigt wurde. Unmittelbar nach diesem frühen «Freiheitsbrief» 1231 hielten sie in der Tat die erste Landsgemeinde ab.
Damit waren sie «nur dem Kaiser» unterstellt, wie in der Tell-Sage richtig zitiert wird. Sie waren auf heutigem Schweizer Boden damit aber auch die Ersten, die Stück für Stück in eine Selbstverwaltung übergingen. Das liegt lange zurück, knüpft aber tief an das Schweizer Selbstverständnis und die Gründungserzählung von 1291 an.
Zeitlich viel naheliegender, und damit auch sehr überzeugend, war Knuttis Hinweis, dass beide Spitäler in Frutigen und Zweisimmen zu etwas anderen Zeitpunkten bereits vor über 100 Jahren als Kantonsbeschluss (1908 «Bezirksspital Obersimmental») bzw. als Beschluss des «Gemeindeverbands Bezirksspital Frutigen» (erster Landkauf im Jahr 1906) ihre Arbeit aufgenommen hatten. Als wichtige Infrastruktur-Komponenten haben sie damit geholfen, sowohl die schweren Jahre in und nach den Kriegen zu überstehen als auch den heutigen Wohlstand der beiden Täler zu untermauern.
«Und heute?», fragte Knutti und machte deutlich, dass er eine Situation kommen sieht, in der «diese Spitäler in Zukunft keiner mehr weiterführen will».
Die nachfolgenden Redner, Grossrat Nils Fiechter (SVP) und der Lenker Gemeindepräsident René Müller (SVP), führten diese thematischen «Vorlagen» entweder weiter aus (Fiechter) oder fokussierten sie auf die menschlichen, aber auch auf die touristischen Aspekte (Müller).
Die Meinung der Berner Regierung
Es war keine einfache Aufgabe für Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP), Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektor des Kantons Bern, gegenüber den klar formulierten Forderungen seiner Parteikollegen die Beschlüsse der Kantonsregierung zu verteidigen: Weiterhin soll es ja dabei bleiben, dass seit dem 19. März 2025 die Geburtenabteilung im Frutiger Spital geschlossen bleibt und im Spital Zweisimmen ab Oktober 2025 die Chirurgie geschlossen wird.
Schnegg hat in diesen Fragen durchaus Erfahrung: 2009–2016 war er bereits Vizepräsident und Präsident des Verwaltungsrats der Hôpital du Jura bernois SA, eine Stelle, die er erst aufgegeben hatte, als er am 1. Juli 2016 sein heutiges Amt antrat.
Er begründete die kantonalen Entscheidungen mit weitgehend bekannten Argumenten: Es habe Bedarfsanalysen gegeben, welche die Entscheidungen nahelegten, und es gäbe gewissermassen Gesetzmässigkeiten heutigen medizinischen Arbeitens, nach denen eine hohe Frequenz möglichst gleichartiger Eingriffe alleine den Qualitätsstandard sicherstelle, den die «Kunden» der Spitäler letztlich zu Recht erwarten dürften. Verbindet man dies mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten (hier war er etwas unklar), so ergäben sich die bisher getroffenen Entscheidungen als logische Folge.
Dieser im Kern administrativen (oder auch «technokratischen») Argumentation folgten die folgenden Vertreter der Spital STS AG Thomas Straubhaar und David Roten.
Hier zeigte sich ein Gegensatz zu den anwesenden Hebammen und Vertreterinnen der «Maternité Alpine» aus Zweisimmen sowie zu vielen betroffenen Familien, die sich auf dem Schulvorplatz in Därstetten eingefunden hatten.
Keine Vertreter aus Frutigen oder Interlaken
Praktisch alle Anwesenden bedauerten aber – laut oder leise –, dass sich keine Vertreter der FMI eingefunden hätten. Auf Nachfrage erklärte sich selbst Organisator Thomas Knutti etwas ratlos: «Man hörte nur, sie hätten einfach keine Zeit.» Egal aus welchem Lager schien diese Begründung niemand zu glauben.
Was sagen die Frauen? Wie gelingt «Selbsthilfe»?
In einer engagierten Rede äusserte sich Grossrätin und Verwaltungsratsvorsitzende der «Maternité Alpine» in Zweisimmen, Anne Speiser (SVP), dazu, dass sie als einzige Frau auf dem Podium auch die Stimme aller Frauen und der Familien in den Tälern darstellen wolle.
«Hilfe zur Selbsthilfe» war das Motto, sagte sie, das mit zur Gründung der Maternité Alpine, die sich nun im neunten Betriebsjahr befindet, geführt habe. In der Grundversorgung habe man anscheinend die «Frauen vergessen oder nach hinten gestellt». Gleichzeitig hob sie aber auch hervor, dass gerade Regierungsrat Schnegg die damalige Gründung der Geburtshilfe-Genossenschaft sehr unterstützt habe.
Es sei aber nun auch wichtig, «die Frauen zu spüren», die sich tagtäglich einsetzten. Angeblich gibt es auch in der Geburtshilfe zu wenig Fachkräfte – vor allem Hebammen. Trotzdem ist es der Maternité gelungen, dass acht Hebammen in Zweisimmen arbeiten, die teilweise den weiten Weg von Bern bis ins obere Simmental auf sich nähmen.
Die STS AG habe vor neun Jahren vorgerechnet, die Geburtshilfe in Zweisimmen würde jährlich ein Defizit von 700’000 Franken erzeugen. Damit, so Speiser, könne man ausrechnen, dass die STS AG aufgrund der gemeinsamen genossenschaftlichen Arbeit genau 5,6 Mio. Franken eingespart habe.
Mit der beschlossenen Schliessung der Chirurgie in Zweisimmen ab dem 1. Oktober stellten sich jedoch auch für die Maternité «jede Menge» zusätzlicher Fragen, mit deren Beantwortung man sich alleingelassen fühle. «Wer kümmert sich um die Frauen, wenn es die Maternité Alpine nicht mehr gibt? Die Maternité Alpine bedauert, dass sie nicht früher als Leistungserbringer in den Prozess einbezogen wurde!»
Die Zukunft ohne Chirurgie in der Region Obersimmental/Saanenland, «ohne OP, ohne Anästhesie» sei kaum vorstellbar, meinte Anne Speiser.
Fazit und Apelle
«Notfall ohne Anästhesie, das wird schwierig», das war nicht nur ein Fazit von Grossrätin Anne Speiser, sondern auch vieler Anwesender und fachlich versierter Personen, die sich ohne Namensnennung äusserten.
Doch nicht nur Zweisimmen hat «sein Problem» auch Frutigen. Wohl ist (noch?) eine chirurgische Abteilung vorhanden, aber ein Geburtshilfedienst, wie er durch die «Maternité» in Zweisimmen seit Langem zur Verfügung gestellt wird, ist bislang nicht organisiert. Zudem, so Speiser im Nachgespräch, stehe man im Kandertal vor einer Riesenaufgabe, wenn man – ähnlich wie in Zweisimmen – nun selbst eine Genossenschaft gründen wolle. Viele Faktoren würden dazugehören: Eine engagierte Führung, Hebammen, die mitmachen, der Aufbau eines Geschäftskonzepts, und Verträge, Verträge, Verträge… mit dem Spital der FMI, mit Immobilienbesitzern, weil man ja Räume in Spitalnähe braucht, mit der Rega und mit den Rettungsdiensten.
Am Ende formulierte die «Landsgemeinde» in Därstetten die Forderungen, die die beiden Spitäler in Zweisimmen und Frutigen betreffen (siehe Kasten).
Bei vielen guten, engagierten aber auch nachdenklichen Gesprächen schloss der Vormittag in Därstetten. Wer wollte, konnte sich noch bei Bratwurst, Brot und Getränken stärken.
«SIMMENTAL ZEITUNG»/MARTIN NATTERER
RESOLUTION DER LANDSGEMEINDE
1. Den Wiedererwägungsantrag an den Regierungsrat vom 19. März 2025 bezüglich der Streichung der Geburtshilfe am Standort Frutigen aufzuheben und die Betreuung gesunder Säuglinge wieder in die Spitalliste aufzunehmen.
2. Dem Verwaltungsrat der Spital STS AG den Auftrag zu erteilen, die chirurgische Abteilung im Spital Zweisimmen dauerhaft zu erhalten.
3. Den Beschluss der Regierung, dass die Spitäler Frutigen und Zweisimmen versorgungsnotwendig sind, beizubehalten.
4. Ein Konzept für die Spitalversorgung im Oberland West zu starten, unter Leitung der GSI, mit den Spitälern FMI, STS AG sowie Regionsvertretern, um im Rahmen des 4-Regionen-Modells die Geburtshilfe und Chirurgie an den Spitälern Frutigen und Zweisimmen zu sichern.
5. Die Verantwortung für gesundheitliche und zeitliche Komplikationen in den Regionen Saanenland, Simmental und Kandertal liegt beim Regierungsrat sowie den Spitalversorgern STS und FMI.