Country Night Nummer 36 in Gstaad
15.09.2025 KulturDie 36. Country Night Gstaad zeigte eindrücklich, wie stark Tradition und Moderne in der Countrymusik ineinandergreifen. Höhepunkt war der Auftritt der «Old Crow Medicine Show», die mit unbändiger Energie das Festivalzelt zum Kochen brachte. Auch Scotty ...
Die 36. Country Night Gstaad zeigte eindrücklich, wie stark Tradition und Moderne in der Countrymusik ineinandergreifen. Höhepunkt war der Auftritt der «Old Crow Medicine Show», die mit unbändiger Energie das Festivalzelt zum Kochen brachte. Auch Scotty McCreery, Hailey Whitters und der Schweizer Newcomer Florian Fox überzeugten mit Auftritten zwischen Authentizität, Nashvilleglanz und markanter Baritonstimme. So bestätigte sich einmal mehr, dass die Country Night Gstaad nicht nur Kultstatus hat, sondern auch internationale Strahlkraft entfaltet.
THOMAS RAAFLAUB
Sogar in den USA weiss man, dass das Oberland schön ist
An der Country Night Gstaad trifft man auf Urgesteine des Anlasses. Zum Beispiel Jürg Hofer, der von Anfang an in Gstaad dabei ist. Gefragt nach einem einzigen Satz, der diese lange Dauer seit 1989 charakterisieren könnte, sagte er – und lächelte dabei Heidi Raaflaub zu: «Ich habe das Gefühl, als sei die erste Country Night gerade gestern gewesen.» Traditionen sind wertvoll, gerade in der heutigen Zeit. Dies betonte auch Marcel Bach in seiner kurzen Ansprache. Traditionen bewahren die Erfahrungen und Weisheiten vergangener Generationen und schenken uns dadurch Orientierung und Halt. Sie stiften Gemeinschaft, indem sie Menschen über gemeinsame Feste wie die Country Night miteinander verbinden, und ermöglichen zugleich Kontinuität und Identität in einer sich ständig verändernden Welt.
«Old Crow Medicine Show» singt das «Vogellisi»
Die «Old Crow Medicine Show» verdient es, in diesem Artikel an erster Stelle genannt zu werden. Das hat viele Gründe: Viele Ansagen wurden auf deutsch mit amerikanischem Akzent gemacht, das Publikum stand auf, tanzte bei einigen Nummern begeistert mit, die Jodlerin «Miss Helvetia» mit Schwyzerörgeli sang mit der Band das «Vogellisi» und auch Hailey Whitters liess sich von der allgemeinen Begeisterung auf der Bühne anstecken und sang aus voller Kehle mit. Die «Old Crow Medicine Show» ist seit langem an den rauen Rändern der Americana erfolgreich und ihr Konzert in Gstaad hat erneut gezeigt, wie viel Energie und pure Freude sie aus Fiedeln, Banjos und mitreissenden Refrains herausholen kann. Was sich wie ein Museumsstück alter Streichmusik hätte anfühlen können, pulsierte stattdessen dank der frenetischen Bühnenpräsenz der Band und ihrer Bereitschaft, die Grenzen zwischen Revival und Neuerfindung zu verwischen, mit der Vitalität einer Rockshow.
Der Abend begann mit einem Feuerwerk aus Fiddle und Mundharmonika, das sofort ein halsbrecherisches Tempo vorgab, das während des grössten Teils des Sets nicht nachliess. Die Stärke von «Old Crow» liegt nicht in der Perfektion, sondern im kontrollierten Chaos ihrer Darbietung – die Songs wirkten oft so, als würden sie jeden Moment auseinanderfallen, nur um sich dann in einem perfekt zerklüfteten Crescendo zusammenzufügen. Diese Spannung machte ihren Auftritt dermassen elektrisierend. Nach Mitmachmomenten folgten ruhigere Phasen, aber gerade in diesen Momenten bewies die Band ihre Durchhaltefähigkeit. Schnell gespielte Stücke und harmonische Balladen zeigten sowohl ihre Musikalität als auch ihre tiefe Verbundenheit mit den Traditionen, die sie weiterführen. Die Gruppe wechselte mühelos die Instrumente, untermauerte damit ihren Ruf als Kollektiv und zeigte sich nicht als Frontmann mit Begleitband.
Es war kein Nachteil, dass das hohe Tempo ihrer Darbietung das Konzert prägte. Die rasanten Tempi rissen mit, ruhigere Passagen fehlten nicht, die Höhepunkte kamen auch ohne sie kraftvoll zur Geltung, wie sie es besser nicht hätten tun können. Der dynamische Kontrast – ein akustisches Intermezzo oder ein reduzierter Tempo-Effekt – verstärkte die Wirkung der energiegeladenen Ausbrüche. Deshalb war das Konzert von «Old Crow Medicine Show» eine fröhliche Erinnerung daran, warum sich die Band so lange Zeit gehalten hat: Sie behandeln traditionelle Countrymusik nicht als Relikt, sondern als lebendige, atmende, schweisstreibende Form des gemeinschaftlichen Feierns. Nur wenige Bands können einem Publikum im Jahr 2025 das Gefühl geben, in einen Tanzabend in einer Scheune im Mittleren Westen der USA des vorigen Jahrhunderts versetzt worden zu sein. «Old Crow» schafft genau das immer wieder – mit Biss, Humor und einer ansteckenden Freude.
Scotty McCreery – traditionell und zugleich zeitgemäss
Scotty McCreerys Auftritt am Freitagabend war eine Entdeckung und dazu eine Bestätigung. Mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Sieg bei «American Idol» hat sich der Künstler fest in seiner Rolle als zuverlässiger Bariton-Balladensänger der Countrymusik etabliert – selbstbewusst, sympathisch und stets dem traditionellen Stil zugeneigt, der ihm eine treue Fangemeinde eingebracht hat.
Die Show begann mit Nummern, die seine kraftvolle Stimme und die klaren Arrangements hervorhoben. Seine Stimme bleibt sein grösstes Kapital: reichhaltig, stabil und einzigartig, egal ob bei Balladen oder anderen, mitreissenden Musikstücken. Er tönte auf der Gstaader Bühne – also live – etwa so wie in seinen Aufnahmen, was für ein beeindruckendes Liveerlebnis sorgte.
Das Tempo der Stücke liess nicht nach, auch als etliche langsamere Songs ohne grosse dynamische Steigerungen ineinander übergingen. McCreerys Konzert profitierte davon – sei es durch Neuarrangements, Coverversionen oder längere Instrumentalpassagen, welche eine mögliche Gleichförmigkeit aufbrachen. Seine Band spielte kompetent und professionell, ging auf Nummer sicher und bot eine ausgefeilte Begleitung mit einigen Exkursionen in neues Terrain.
Die eher seltenen Überraschungen machte McCreery durch seine Zugänglichkeit wett. Seine Bühnenansagen waren entspannt und authentisch, gespickt mit Anekdoten über seine Familie und seine Wurzeln in North Carolina. Diese Momente schufen die stärkste Verbindung des Abends und erinnerten das Publikum daran, dass seine grösste Ausstrahlung seit Langem auf Authentizität basiert.
Diese Authentizität führte zu einem unvergesslichen Musikerlebnis. Das Konzert bot genau das, was langjährige Fans erwarteten – bekannte Songs, die mit Aufrichtigkeit gesungen wurden –, es ging aber nicht über diese Komfortzone hinaus. Für einen Sänger mit McCreerys Gesangstalent und langjähriger Karriere besteht die Herausforderung in Zukunft darin, nicht nur zu beweisen, dass er die Bühne beherrscht, sondern dem Publikum zu zeigen, dass er über die Erwartungen hinauswachsen kann und was sein Repertoire erwarten lässt. Zusammenfassend war McCreerys Konzert eine solide, professionelle Angelegenheit: zuverlässig, herzlich und gut gesungen. Es hätte aber ein wenig mehr Wagemut verdient.
Hailey Whitters – zum ersten Mal in der Schweiz
Hailey Whitters hat sich als Songwriterin und Performerin mit Blick auf die Tradition einen festen Platz in der modernen Countrymusik erobert. Ihr Konzert in Gstaad unterstrich diese Dualität: teils glänzender Nashvilleglanz, teils Geschichten aus einer Kleinstadtidylle, präsentiert mit einer Wärme, die das Publikum eher mitfiebern als zurücklehnen lässt.
Whitters eröffnete das Konzert mit fröhlichen Stücken aus ihrem aktuellen Album und verlieh dem Auftritt einen luftigen, neotraditionellen Anstrich, der sowohl vertraut als auch frisch wirkte. Ihre Stimme – klar, gemächlich und dazu tragend, hell und metallisch – kam live wunderbar zur Geltung und bot eine Art von unverfälschter Intimität, die in der Abgeschlossenheit des Studios manchmal verloren geht.
Auf der Gstaader Bühne legte Whitters grossen Wert auf Erzählungen. Zwischen den Songs erzählte sie Geschichten über ihre Wurzeln, ihren Weg zum Songwriting und die persönlichen Hintergründe bestimmter Titel.
Nie geriet das Tempo ins Stocken, auch wenn viele langsamere Stücke hintereinander gespielt wurden. Die Energie riss nicht ab. Whitters zeichnete sich durch ihre Aufrichtigkeit aus und dazu in der Kunst der Dynamik, die den Schwung über den ganzen Auftritt aufrechterhalten kann. Ihre Band verdiente Anerkennung dafür, dass sie ihren Songs sowohl Schwung als auch Subtilität verlieh. Klare Gitarrenlinien und Pedal-Steel-Klänge umrahmten ihre Stimme, ohne sie zu überlagern, und verliehen ihrer Performance eine Mischung aus modernem Glanz und klassischer Countrytextur. Wenn sie sich eher verspielten Stücken zuwandte, verlieh die Chemie zwischen Whitters und ihren Musikern dem Auftritt eine Lockerheit, die erfrischend wirkte. Ihre Stärke lag in ihrer Fähigkeit, einen Raum – sei es ein Club oder das Festivalzelt – so zu gestalten, als würde man um ihren Küchentisch herum sitzen und einer Musik lauschen, die sowohl Kraft als auch Anmut ausstrahlt.
Florian Fox – in seinen Worten der «crazy guy»
Das Konzert von Florian Fox war ein Spiel der Kontraste: eine tiefe, samtige Baritonstimme, die in der klassischen Countrytradition verwurzelt ist, gepaart mit einer ausgesprochen modernen Sensibilität in Inszenierung und Präsentation. Fox, der für das internationale Publikum noch relativ neu ist, hat eine Stimme, die sofort Aufmerksamkeit erregt – ein tiefes Register, das an Ikonen der Vergangenheit erinnert, aber mit einer Präzision und Selbstsicherheit vorgetragen wird, die sich entschieden zeitgemäss anfühlt. Von Anfang an setzte Fox auf die Dramatik seines Klangs. Die ersten Stücke unterstrichen die Tiefe seiner Stimme, eine Resonanz, die selbst das rockige Arrangement als Erlebnis wirken lässt. Begleitet von einer präzis begleitenden Band bewegte er sich zwischen Rock’n’Roll und ruhigeren Liedern, mit weiteren Ausflügen in lebhaftere Stücke, die eine leichtere, fast verspielte Seite zeigten.
Was die Darbietung auszeichnete, war nicht nur die Stimme, sondern auch die Art und Weise von Fox’ Bühnenpräsenz. Sie war weder zurückhaltend noch auffällig – gutes Tempo, imposanter Sound und eine Intensität, die das Zelt in seinen Bann zog. Nicht zu viel Zurückhaltung und auch kein Understatement. Andere Teile des Konzerts glänzten mit einem Funken Improvisation. Das Programm war sorgfältig zusammengestellt und verband Originalmaterial mit Anspielungen auf seine Einflüsse. Die Originale waren stark, insbesondere diejenigen, die sich eher auf das Erzählen von Geschichten als auf die reine Darbietung der Stimme konzentrierten. Fox vermied jede Gleichförmigkeit im Klang; die schiere Kraft seiner Baritonstimme war beeindruckend, profitierte von einer dynamischen Variation – sei es durch reduzierte Arrangements oder unerwartete Tempowechsel.
Die Wirkung war magnetisch, denn die Stücke harmonierten untereinander. Seine Interpretation langsamerer, erzählerischer Songs erfüllte das Zelt mit einer fast kinoähnlichen Stimmung und erinnerte an die Wurzeln der Countrymusik. Das Publikum, das offensichtlich jede seiner Phrasen mitverfolgte, reagierte mit der gewohnt konzentrierten und stillen Gstaader Aufmerksamkeit, die eine Performance auszeichnet, in die man sich hineinversetzen kann. Am Ende seines Auftritts hatte sich Fox nicht nur als vielversprechender Newcomer, sondern auch als Künstler mit einer unverwechselbaren Stimme und Vision bewiesen. Er schaffte es, die Schwere seines Baritons ohne Risiko und mit viel Abwechslung in seinem Auftritt einzusetzen, was mehr als ein solides Konzert war. Vielmehr entwickelte es sich zum unvergesslichen Event – so wie die ganze diesjährige Country Night.
ZWEI PARTYGÄNGER
Nico und Gian-Luca aus Zweisimmen waren wegen Kollegen nach Gstaad gekommen, welche die Country Night empfohlen hatten. Diese hätten gesagt, hier sei es mega cool und man könne gut Party machen. Sie seien um halb acht Uhr mit dem Zug aus Lausanne angekommen, dem Ort, wo sie ihr Didacjahr absolvierten. Eine Viertelstunde nach Mitternacht würden die beiden von Nicos Mutter am Bahnhof Gstaad abgeholt. Bis dahin würden sie die Nacht mit ihren Kollegen geniessen und auch dem Lunapark einen Besuch abstatten. Die bevorzugte Musik sei nicht unbedingt Country, sondern eher Rap und ein wenig Pop. Die Stimmung in der Tennishalle sei aber sehr gut. Deshalb mache es nichts, dass das Publikum eher etwas älter als sie sei...
TRA











