Grenzverletzendes Verhalten: Chinderhuus arbeitet neu mit Bündner Standard 2.0
15.04.2024 SaanenNeu führt die Institution Chinderhuus Ebnit Protokoll, wenn es zu Grenzverletzungen zwischen Kindern und Jugendlichen, aber auch zwischen ihnen und den Betreuenden kommt. Dabei orientiert sie sich am Bündner Standard 2.0. Dies und mehr erfuhren die Anwesenden an der vergangenen ...
Neu führt die Institution Chinderhuus Ebnit Protokoll, wenn es zu Grenzverletzungen zwischen Kindern und Jugendlichen, aber auch zwischen ihnen und den Betreuenden kommt. Dabei orientiert sie sich am Bündner Standard 2.0. Dies und mehr erfuhren die Anwesenden an der vergangenen Generalversammlung.
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Worum handelt es sich beim Bündner Standard 2.0?
Zwei Kinder streiten sich. Dies ist noch kein Grund zur Sorge. Kommt es aber zu grenzverletzendem Verhalten – verbale oder physische Gewalt –, muss die Institution Chinderhuus Ebnit eingreifen. Und dafür hat sie nun ein neues System eingeführt: den Bündner Standard 2.0. Institutionsleiter Patric Bill zeigte sich begeistert über dieses Instrument. «Es ist deshalb so gut, weil es sehr praxisnah ist», erklärte er gegenüber den Anwesenden der Generalversammlung vom vergangenen Freitag, die von Vizepräsidentin Nadja Ruchti geleitet wurde, dies aufgrund der Abwesenheit von Präsident Christian Gafner.
Der Bündner Standard 2.0 kategorisiert grenzverletztendes Verhalten in vier Kategorien: alltägliche Situation (Stufe 1), leichte (2), schwere (3) oder massive Grenzverletzungen (4). Kommt es zu einem Vorfall der Stufe 4, besteht eine Meldepflicht bei der entsprechenden Behörde. Bei den anderen Stufen gibt es jeweils eine Dokumentation – Ende Jahr verlangt der Kanton die Auszüge aus der dritten Stufe, wie Bill erläuterte.
Mittels verschiedener Fragen innerhalb einer Tabelle können Fachpersonen erörtern, welcher Stufe ein bestimmter Vorfall zugeordnet wird. Gab es eine Auseinandersetzung zwischen Kindern oder auch zwischen einer betreuenden Person mit Kindern? Zu welcher Art von Gewalt kam es? War das Kind selbstverletzend? «Für jeden Fall gibt der Bündner Standard einen bestimmten Prozess vor, welche Massnahmen ergriffen werden müssen», erklärte der Institutionsleiter. Das Instrument sei sehr hilfreich und er könne es nur jeder Institution empfehlen, die mit Kindern arbeiten würde.
Wie war die Auslastung der Kitas und der Notfallplätze?
Im Jahr 2023 hatte die Kita Saanen erstmals 9,96 Plätze von zehn Kitaplätzen besetzt. «Ich habe mich stets gegen exorbitante Ausbaupläne an Betreuungsplätzen gewehrt und dieses Jahr zeigt auf, dass wir den richtigen Weg gegangen sind, weil wir nicht voll ausgelastet waren», sagte Patric Bill. In der Kita Gstaad habe sein Team 15,23 Kinder betreut, dieser Standort sei besser ausgelastet gewesen. Bei 48 Prozent seien beide Elternteile aus dem Ausland, dies sei mit einem erhöhten Aufwand in Kommunikationsangelegenheiten verbunden. «Die Eltern haben aber sehr viel Verständnis und kommen uns sehr entgegen», erklärte Bill. Herausfordernd bleibe der Fachkräftemangel und die Entwicklung der Abwanderung in den Lehrerberuf. «Anders als bei Schulen können wir keine Quereinsteigenden einstellen», sagte Bill.
Die Auslastung bei den Notfallplätzen lag bei 85 Prozent – gewollt, wie der Institutionsleiter erklärte. «Wir haben bewusst im November und Dezember weniger Notfallplätze angenommen, weil es von Januar bis Ende September anspruchsvoll und schwierig war. Das Team musste mal durchatmen.» Neben dem Fachkräftemangel, der auch in diesem Bereich präsent sei, hätten die Fälle an Komplexität zugenommen. Er sei aber stolz auf die Arbeit seines Teams, denn rund drei Viertel der betreuten Kinder hätten eine Aufenthaltsdauer von plus minus drei Monaten gehabt und nicht länger. «Die Kinder sollen sich wohlfühlen, es soll aber für sie auch vorwärts gehen», erklärte Bill. 94 Prozent der fremdplatzierten Kinder waren aus dem Kanton Bern, jeweils drei Prozent aus Solothurn und Zürich. Das Altersspektrum reichte von sieben bis 15 Jahren.
Im 2023 hatte das Chinderhuus keine Familienbegleitungen.
Wie sieht es mit dem Neubauprojekt aus?
Das Vorprojekt sei abgeschlossen, erklärte Patric Bill. Zurzeit sei die Institution im Gespräch mit der Gemeinde Saanen, wo eine Aussenspielfläche innerhalb der Überbauungsordnung realisiert werde solle. Sie hätten verschiedene Varianten vorgeschlagen. Am Ende werde es wohl eine politische Frage sein, weshalb er sich über jede Unterstützung freue, so Bill. Raumplanerisch und finanziell werde es herausfordernd, aber man stehe auf finanziell gesunden Beinen, hinzu komme die Fremdfinanzierung von Gemeinde, Kanton und Bund.
Vor welchen Herausforderungen steht der Verein Chinderhuus Ebnit?
Es fehlt dem Verein Chinderhuus Ebnit an Mitgliedern, erklärte Patric Bill. «Unsere Vereinsstrukturen sind 35 Jahre alt, weshalb wir versuchen, Änderungen anzustreben. Wir sind uns bewusst, dass wir etwas ändern müssen.» Beispielsweise wolle man aktiver auf die Kita-Eltern zugehen und Anlässe ausbauen, beispielsweise den Räbeliechtliumzug.
Gibt es neue Vorstandsmitglieder?
Ja, so folgt auf Anita Huwiler ein neues Vorstandsmitglied: Die Versammlung wählte Jacobo Herraez. Die Familie des Architekten aus Saanen nutzt die Dienstleistungen der Kita des Chinderhuus Ebnit, wie er den Anwesenden erzählte. «Ich und meine Frau sind aus Spanien und leben nun schon seit rund zehn Jahren im Saanenland. Wir sind hier sehr glücklich, weshalb wir etwas zurückgeben und uns auch entsprechend integrieren wollen.» Anita Huwiler verabschiedete sich mit einem Kompliment an das Team des Chinderhuus. «Ihr müsst oftmals schwierige Entscheidungen treffen. Dies macht ihr stets mit einer Menschlichkeit und Professionalität zum Wohle des Kindes.» Sie habe es geschätzt, Einblicke in den Alltag und in die Organisation der Kita und der Notfallplätze zu erhalten. «Mit dem Herz werde ich immer mit dem Chinderhuus verbunden bleiben», so Anita Huwiler.
ZAHLEN UND FAKTEN RUND UM DAS CHINDERHUUS EBNIT
Personal: 2023 hatte die Institution 16 Eintritte und 17 Austritte, darin sind auch die Zivildienstleistenden inbegriffen. Das Chinderhuus hat 76 Lohnausweise ausgestellt, davon sind 40 Personen fix angestellt. «Als ich angefangen habe, waren wir 15 Leute», erzählte Patric Bill.
Jahresrechnung 2023: Sie schliesst mit einer Bilanzsumme von rund 2,1 Millionen Franken bei einem Organisationskapital von rund 1,23 Millionen Franken und einem Jahresgewinn von rund 61’500 Franken. «Wir stehen auf einer gesunden finanziellen Basis. Das freut uns, weil wir in den nächsten Jahren den Neubau realisieren wollen», erläuterte der Institutionsleiter. Zudem seien sie auf dem besten Weg dahin, die Schulden für den Bau des heutigen Gebäudes, welches vor 25 Jahren errichtet wurde, in zwei Jahren abbezahlt zu haben. «Somit ist es ein guter Zeitpunkt für ein neues Projekt.»
JOP