Ballonfahrt mit Weitblick
17.10.2025 Tourismus, SportFast lautlos gleitet der Ballon über die Berglandschaft unserer Destination. Es ist ein kühler, aber sonniger Herbsttag im Jahr 2039. Tourismusdirektor Bill Johnson aus Colorado* schaut zufrieden auf die satten grünen Wiesen hinunter. Unbedingt hat er diese für Amerikaner ...
Fast lautlos gleitet der Ballon über die Berglandschaft unserer Destination. Es ist ein kühler, aber sonniger Herbsttag im Jahr 2039. Tourismusdirektor Bill Johnson aus Colorado* schaut zufrieden auf die satten grünen Wiesen hinunter. Unbedingt hat er diese für Amerikaner unaussprechliche Destination «Gestaad» aus der Nähe sehen wollen, die gerade im Frühling 2039 den Green Destinations Award erhalten hatte. Nun war er froh, dass sein Schweizer Kollege Flurin Riedi seine Besuchsanfrage so rasch angenommen hatte.
«Warum sieht man so wenige Autos bei euch?» Bill kommt aus dem Staunen nicht heraus. Flurin lächelt. «Wir haben bereits seit den 20er Jahren grosse Fortschritte in der Nachhaltigkeit gemacht. Bei uns ist das Biken selbstverständlich geworden. Die Menschen fahren mit dem Velo zur Arbeit. Problemlos, weil die Velowege zwischen den verschiedenen Ortschaften attraktiv und sicher sind.» Bill ist sichtlich beeindruckt und wundert sich nun schon weniger, warum sein Kollege Flurin, der bereits auf die 60 zugeht, zum Treffpunkt in Châteaud’Oex heute Morgen munter mit dem E-Bike erschienen ist. Ein wenig geläutert und beschämt nimmt er sich vor, künftig zu seinem Bäcker an der nächsten Ecke lieber zu gehen, statt zu fahren.
«Und wer das Bike dann ausnahmsweise mal nicht nehmen kann oder will, steigt in einen der vielen E-Ortsbusse. Wir haben damals mit dem E-Postbus nach Abländschen gute Erfahrungen gemacht und haben das Netz stark erweitert. Gäste und Einheimische nutzen den ÖV gleichermassen gern», erklärt Flurin seinem amerikanischen Kollegen. «Und für die jungen Leute gibt es extra Nachtbusse, damit sie heil von einer Bar zum nächsten Event kommen in unserem bekannten hippen Nightlife zwischen Château-d’Oex und Lenk.» «Und das Auto spielt gar keine Rolle mehr?», fragt Bill ungläubig und hat gleichzeitig die endlosen Autoschlangen in seinem Dorf in den Rocky Mountains zur Hochsaison vor Augen. «Eine viel kleinere Rolle», antwortet Flurin. «Der Langsamverkehr geniesst eine hohe Priorität bei uns. Aber es gibt sie schon, die Autos. Schau, siehst du die vielen Power-Ladestationen dort unten? Die meisten Menschen sind auf E-Mobilität umgestiegen.» «Und nutzen scheinbar auch Solarenergie», stellt Bill fest und kneift die Augen zusammen wegen der Sonnenstrahlen, die von den vielen Solaranlagen auf den Dächern reflektiert werden.
«Oh wow, was ist dieses ‹fantastic building› dort?» Mit einem anerkennenden Pfiff zeigt der Amerikaner in die Ferne, als der Ballon gerade von Saanen Richtung Gstaad gleitet. «Oh, das ist die Concert Hall», klärt ihn Flurin auf. Mit diesem beeindruckenden Gebäude und besonders den fantastischen Events, die es beherbergt, konnten wir uns international stark im Kunst- und Kulturbereich positionieren.» – «Oh yes, ich kenne das Menuhin Festival», freut sich Bill. «Ja genau – aber längst nicht nur das. Unser Sommer reicht heute bis in den September und sogar Oktober. Was früher auf Juli und August beschränkt war, erleben wir nun auch im Spätsommer. Viele Events haben wir bewusst dorthin verlegt – so haben wir die Sommersaison langfristig gestärkt und verlängert.» «Uff, das geht auch nur dank des Klimawandels...», seufzt Bill. «Ja, das schon, aber wir tun mit unserer Nachhaltigkeit ja sowieso schon viel gegen die Erderwärmung und machen einfach das Beste daraus.»
«Apropos Klimawandel: Habt ihr noch Schnee im Winter?», will Bill wissen. «Die Beschneiung ist aufwendiger und kostspieliger heutzutage und sicher eine Herausforderung, aber wir sind sehr effizient», sagt Flurin mit einem Lächeln und packt das Znüni aus dem Rucksack. Bills Augen leuchten: «Alpkäse!!» In seiner Jugend war es sein Lieblingskäse, aber durch eine ungünstige Zollpolitik war er für einige Jahre rar geworden in den USA und galt als besondere Spezialität. Bill stopft sich den Käse wie ein übermütiges Kind in den Mund. Flurin lacht und gibt ihm mehr vom Gold der Alpen zusammen mit Zopf und Anke. «Iss nur! Wir haben reichlich davon. Unsere Läden verkaufen fast nur noch Produkte aus der Region.»
«Aber wie schafft ihr diese Balance zwischen Tourismus und Lebensqualität?», fragt Bill, als der Ballon gerade über die Sonnenterrasse Wispile gleitet, wo Einheimische und Gäste friedlich nebeneinander wandern und biken. «Wir haben das in der Tourismusund der Standortentwicklungsstrategie klar definiert – zusammen mit Politik, Hotellerie und Gewerbe. Dazu gehören zum Beispiel auch bezahlbare Wohnungen für Einheimische. Schau dort hinten: die Ebnitmatte oder der Alpenblick – beides neue Wohnanlagen.» «Oh, amazing! Darf ich in diese Strategiepapiere mal reinschauen, wenn wir gelandet sind? Da kann ich sicher viele gute Ideen mit nach Colorado nehmen!», sagt Bill zufrieden und kaut an seinem letzten Stück Alpkäse.
***
Eine Utopie? Nicht unbedingt, denn wenn wir alle an die Realisierung der eingeschlagenen Strategie glauben und konkret an deren Realisierung arbeiten, dann können wir im Jahr 2039 tatsächlich auf solche Errungenschaften zurückblicken. Danke allen für ihren Beitrag!
FLURIN RIEDI
TOURISMUSDIREKTOR [email protected]
(*Bill Johnson aus Colorado entspricht keiner realen Person
Anmerkung der Redaktion.)