Zusammen sind sie 110: Die Jugendherberge Gstaad Saanenland und die Schweizer Jugendherbergen feiern Geburtstag
04.07.2024 SaanenDie Jugendherberge Gstaad feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen seit dem Neubau, und der Verein Schweizer Jugendherbergen (SJH) sein 100-jähriges. Wir werfen einen Blick zurück in eine Zeit, in der die Jugi Gstaad Saanenland noch Chalet Rüeblihorn hiess ...
Die Jugendherberge Gstaad feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen seit dem Neubau, und der Verein Schweizer Jugendherbergen (SJH) sein 100-jähriges. Wir werfen einen Blick zurück in eine Zeit, in der die Jugi Gstaad Saanenland noch Chalet Rüeblihorn hiess – aber schon an derselben Stelle stand.
KEREM S. MAURER
Das Netzwerk der Schweizer Jugendherbergen besteht zurzeit aus 42 eigenen und sieben Franchisebetrieben. Und obschon es die Jugendherbergen in der Schweiz schon seit hundert Jahren gibt, sind sie weder verstaubt noch veraltet, sondern immer noch im Trend. «Das Jahr 2023 sorgte mit 807’196 Logiernächten in den eigenen Betrieben für ein Rekordergebnis», teilt André Eisele, Direktor Marketing und Kommunikation bei den Schweizer Jugendherbergen, auf Anfrage mit. Damit liege man um 7,4 Prozent über dem Vorjahr. Der Anteil der Schweizer Gäste habe sich im Jahr 2023 um rund 5 Prozent auf 73,3 Prozent reduziert. Eine dieser Jugendherbergen steht in Saanen (siehe Kasten). Mit der Auslastung der Jugendherberge Gstaad Saanenland sei man zufrieden. «Wir liegen im Plan», so Eisele.
Gesteigerte Ansprüche
Das Klientel der Jugendherberge Gstaad Saanenland habe sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert, weiss André Eisele. Nach wie vor machten Familien und Einzelreisende mit 80 Prozent den Grossteil der Gäste aus, den Rest teilten sich Gruppen und Schulen etwa hälftig. Deutlich gestiegen in den letzten Jahrzehnten seien allerdings die Ansprüche der Gäste. Wo einst Zwölferschläge und grosse Schlafsäle Usus waren, gibt es heute Doppel-, Vierer- und maximal Sechserzimmer. Ebenso sei man in Sachen Essensangebote neue Wege gegangen. «Das Foodangebot nennt sich ‹Yoummi› und bedeutet, dass täglich ein veganes und ein vegetarisches Menu serviert wird, was die Gäste sehr schätzen», so Eisele. Eine weitere Anpassung betrifft die Altersbegrenzung, welche allerdings schon 1956 abgeschafft wurde. Man muss heute auch nicht mehr Mitglied sein, um in einer Jugendherberge übernachten
Zeitloser Baustil
Die Jugendherberge Gstaad Saanenland sei eine typische Jugendherberge, hält Eisele fest. Auch der Baustil sei nicht nur Gstaad-like. «Es gibt in vielen Jugendherbergen Kombinationen aus Sichtbeton und viel Holz», führt Eisele aus. Das sei der Stil des Architektenteams der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus, die vom Bau bis zur Instandstellung der von der SJH geführten Betriebe zuständig sei. Und da die Jugi Gstaad ein SJH-eigener Neubau war, sei sie in diesem langlebigen Stil erbaut worden. Man folge nicht absichtlich jedem neuen Bautrend, sondern wolle möglichst zeitlos daherkommen. Dies sorge unter anderem auch für einen Wiedererkennungswert, genauso wie die Bettwäsche, die in allen Jugendherbergen gleich sei.
Lebenslange Mitgliedschaft für Jubiläums-Babys
In diesem Jahr wird der Verein Schweizer Jugendherbergen hundert Jahre alt. Dieses stolze Alter wird schweizweit mit verschiedenen Aktivitäten gefeiert. Daneben gibt es für Babys, die im Jubiläumsmonat April 2024 geboren wurden, gegen Vorweisung der Geburtsurkunde eine Lebenslange Mitgliedschaft beim Verein Schweizer Jugendherbergen. Und noch bis Ende Jahr läuft im Schloss Burgdorf eine interaktive Jubiläumsausstellung zu 100 Jahren Jugendherbergen in der Schweiz.
VOM EHEMALIGEN KINDERHAUS ZUR JUGENDHERBERGE
Ursprünglich war das Chalet Rüeblihorn ein Kinderheim der Pro Juventute. Dann wurde das Haus vom Verein Schweizer Jugendherbergen gekauft. Die erste Saaner Jugendherberge im Chalet Rüeblihorn wurde 1985 eröffnet und hatte 72 Betten. Nach 28 Jahren war Schluss, 2013 erfolgten die Schliessung und der Abbruch. Die Schweizer Jugendherbergen hatten es sich zum Ziel gemacht, an derselben Stelle ein zukunftsgerichtetes Projekt zu erstellen. Nach einer 14-monatigen Bauzeit fand ziemlich genau vor zehn Jahren, nämlich am 15. Juni 2014, ein Tag der offenen Tür statt. Die erste Übernachtung war am 4. Juni 2014. kma
100 JAHRE JUGENDHERBERGEN SCHWEIZ – CHRONIK
1900 – 1924
Freizeit und Geld fehlten vielen Jugendlichen nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Wandern, Singen und Tanzen in der freien Natur boten günstige Unterhaltungsmöglichkeiten – ohne Erwachsene.
1924 – 1932
Nach dem ersten Weltkrieg begeisterte sich die Jugend zunehmend fürs Wandern unter ihresgleichen. Eltern und Lehrerschaft waren besorgt: Geht die Autorität verloren, lässt der Arbeitswille nach?
1930 – 1938
Die 1930er-Jahre waren von Arbeitslosigkeit, Angst vor Krieg und der geistigen Landesverteidigung geprägt. Dennoch erweiterten die Jugendherbergen ihr Netz, trotzten der wirtschaftlichen Realität mit Glück und Wagemut.
1939 – 1947
Mit dem Kriegsausbruch 1939 brach bei den Jugendherbergen der Besucheransturm zusammen. Anstatt jungen, ausländischen Gästen schlafen Soldaten im Aktivdienst in den Massenschlägen.
1947 – 1959
Die Welt erholte sich nach dem Krieg, der internationale Austausch wird wieder aufgenommen. Doch die Zahl der Jugendherbergen nahm nach dem Wachstum bis 1938 stetig ab.
1960 – 1970
Die Sechzigerjahre brachten wirtschaftlichen Aufschwung und mehr Freiheit suchende Jugendliche. Die Jugendherbergen sahen sich erstmals einem Konkurrenzdruck ausgesetzt.
1970 – 1980
Nun konnten sich Jugendliche Fernreisen leisten, alles wurde günstiger, fast alle hatten genügend Arbeit. Die Welt öffnete sich vor allem den Jungen aus Übersee, die mit schmalen Budgets die Jugendherbergen fast überrannten.
1980 – 1990
Bei der Sponsorensuche wurden Imagefragen wichtig. Gehen die Jugendherbergen noch mit der Zeit und was halten die potenziellen Gäste von ihnen? Und es fehlte am Nachwuchs.
1990 – 1999
Die Schweizer Jugendherbergen mussten sich in der neuen, globalisierten Welt zurechtfinden und waren dem Wettbewerb und sensibilisierten Gästen aus aller Welt ausgesetzt. Finanziell wurde es eng. Die Jugendherbergen fusionierten schweizweit.
2000 – 2010
Jeder dritte Schweizer wusste, wovon die Rede war, wenn von den «Jugis», einem nationalen Symbol, gesprochen wurde. Das Jubiläum zum 75-jährigen Bestehen 1999 mit vielen Werbemassnahmen, dem Sponsoring von Mountainbike-Rennen für den Nachwuchs, bis hin zur SIGG-Jubiläumsbottle machten den Verein allseits bekannt.
2010 – 2019
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Schweizer Jugendherbergen wurden ab 2020 zahlreiche Projekte im Bereich erneuerbare Energien umgesetzt, der Begriff Nachhaltigkeit aber noch weiter gefasst. Dazu gehörten auch die drei gleichberechtigten Standbeine soziale Verantwortung, Wirtschaftlichkeit und «Governance». Damit etablierten sich die SJH als Nonprofit-Organisation auf einer Gratwanderung zwischen dem Erreichen sozialer Ziele und der erforderlichen Rentabilität.
Ab 2020
Die Pandemie brachte die internationale Reisetätigkeit zum Erliegen und die Schweizer Jugendherbergen an die Grenzen des wirtschaftlichen Überlebens. Erst 2022 kehrte die persönliche Bewegungsfreiheit zurück und brachte den SJH die notwendige Stabilität. Der Neustart nach den schwierigen Pandemiejahren ist geglückt.
«Jetzt wird Gstaad ein bisschen schwäbisch!»
Anja und Gunther Steininger bezeichnen sich selbst als «Vollblutgastronomen» und sind ausgebildete «Hostelmanager». Früher nannte man diese Jobs noch «Herbergseltern». Steiningers führen die Jugendherberge Gstaad Saanenland erst seit Mitte März, feiern aber in diesem Jahr das zehnjährige Bestehen dieser Jugendherberge. Im Interview erklären sie, warum es im Saanenland eine Jugi braucht und verraten, was es mit dem Töggelikasten auf sich hat.
KEREM S. MAURER
Warum sind Sie Hostelmanager bei den Schweizer Jugendherbergen geworden? Was reizt Sie an dieser Art der Gastronomie?
Wir haben von der Sterne-Gastronomie bis zum einfachen Hotel schon alles gemacht. Was uns noch fehlte, war die Erfahrung in einer Jugendherberge. Wir wollten diese Erfahrung in den letzten Jahren vor der Rente noch machen. So haben wir gemeinsam die Ausbildung zum Hostelmanager gemacht und uns beim Verein Schweizer Jugendherbergen auf die ausgeschriebene Stelle hier in Saanen beworben. So als Abschluss unserer gastronomischen Laufbahn. Wir sind sehr motiviert, unser erstes Jugi-Jahr in Angriff zu nehmen.
Was sind die typischen Jugendherbergenbesucher? Sind das junge Wilde, Extremsportler oder Rucksacktouristen?
Seit Mitte März haben wir hier effektiv schon alles gesehen. Wir glauben, den «typischen Jugi-Gast» gibt es nicht oder zumindest nicht mehr. Bei uns übernachten Familien, Einzelgäste, die mit dem Koffer anreisen, Rucksacktouristen, die zum Wandern kommen. Letzthin übernachtete auch eine Extremfahrradfahrerin bei uns, die in der Gegend trainiert hatte.
Das klingt nach einer guten Durchmischung der Gäste...
Genau, von 0 bis 96 Jahren beherbergen wir alle Alterskategorien. An Pfingsten hatten wir sogar ein Familientreffen bei uns. Es ist halt in einer Jugendherberge sehr kinderfreundlich. Die Kleinen fühlen sich in unserer Spielecke sehr wohl, können spielen und herumlaufen und die Eltern haben Zeit füreinander.
Dann haben die Jugendherbergen ihren familiären Charakter durch die Zeit erhalten können?
Unbedingt! Das unkomplizierte Image ist noch da. Wir sagen hier drin alle Du zueinander, gegessen wird an langen Tischen, und wenn es sein muss, stellen wir den Topf direkt auf den Tisch. Man lernt sich einfach und schnell kennen. Das macht den Reiz aus.
Das mit dem Essen klappt aber nur, wenn man Übernachtungsgast ist, Sie haben kein öffentliches Restaurant?
Doch, unser Restaurant ist für alle geöffnet. Bei uns kriegen Sie ein Nachtessen unter zwanzig Franken und das Wasser ist erst noch gratis.
Das Saanenland ist nicht zuletzt für seine gehobene Sterne-Gastronomie bekannt. Sie finden anderswo auf dieser Fläche kaum eine höhere Gault-Millau-Punkte-Dichte. Passt das Konzept einer Jugendherberge überhaupt hierhin?
Auf jeden Fall. Wir sind für alle Gäste hier, auch für jene mit schmaleren Budgets. Wenn die Qualität des Angebots stimmt, passt auch eine Jugi überallhin. Wir empfinden sie als sehr gute Ergänzung für das Saanenland. Das ist doch toll, jetzt wird Gstaad ein bisschen schwäbisch!
Was ist denn Ihr Anspruch als Hostelmanager?
Dass wir viele Gäste glücklich machen und uns und unseren Gästen das familiäre Jugi-Feeling erhalten. Wir wollen Jugi-like bleiben. Und wie bei allen Gastronomen ist es auch unser Ziel, dass die Gäste – egal in welchem Alter diese sind – zufrieden unser Haus verlassen und gerne wieder zurückkehren.
Angenommen, jemand bräuchte für eine oder zwei Wochen ein Zimmer, weil ein längerer Einsatz in der Region bevorsteht. Könnte er oder sie für diese Zeit in der Jugi ein Zimmer mieten?
Auf jeden Fall. Wir haben 160 Betten in 42 Zimmern, darunter auch Doppel- und Familienzimmer. Wenn noch eines frei ist, kann man das auch für einen längeren Zeitraum mieten.
Und wenn es einmal regnen sollte, kann man ja immer noch töggele...
Genau. Der Töggelikasten ist ganz typisch für Jugendherbergen, so einer steht in jedem Haus. Im letzten Jahr fand ein nationales Jugi-Töggeli-Turnier statt. Das ist bei den Gästen derart gut angekommen, dass wir es in diesem Herbst wiederholen. Austragungsorte sind Lausanne und Zürich, der Final ist in Bern.
Was bedeutet es für Sie, dass die Jugendherberge Gstaad Saanenland in diesem Jahr das zehnjährige Bestehen feiert?
Nun, wir sind noch kein Jahr da, daher ist für uns dieses Jubiläum sehr wichtig, weil wir uns präsentieren können. Und wir finden, dass man der Jugendherberge Gstaad Saanenland ihre zehn Jahre nicht ansieht! Im Rahmen dieses Jubiläums wird am 12. September ein Tag der offenen Tür stattfinden.
ZU DEN PERSONEN
Anja (56) und Gunther (58) Steininger kommen aus Heilbronn (D) und sind verheiratet. 1989 kamen sie zum ersten Mal in die Schweiz, ins Saanenland und arbeiteten gemeinsam im damaligen Hotel Steigenberger (heute: Huus Gstaad Hotel). Von dort führten sie ihre gastronomischen Wanderjahre über den Bürgenstock in Luzern, die Krone in Gottlieben in den Seegarten in Kreuzlingen. Zuletzt führten sie von 2016 bis 2020 das Bergrestaurant Bühlberg an der Lenk. Mit der Führung einer Jugendherberge erfüllen sie sich ihren letzten beruflichen Traum. Die Jugendherberge Gstaad Saanenland führen sie gemeinsam seit Mitte März und wollen bis zu ihrer Pension nichts anderes mehr machen. Die frisch gebackenen Hostelmanager freuen sich auf die neue Herausforderung.
KMA