Wandert die GenZ eigentlich?
23.09.2024 TourismusAm vergangenen Donnerstag und Freitag wurde die Destination Gstaad einmal mehr zum Treffpunkt für Personen, die beruflich mit dem Wandern zu tun haben. Rund 120 Personen haben an der Veranstaltung teilgenommen und Trends, Bedürfnisse, Best Practices und touristische ...
Am vergangenen Donnerstag und Freitag wurde die Destination Gstaad einmal mehr zum Treffpunkt für Personen, die beruflich mit dem Wandern zu tun haben. Rund 120 Personen haben an der Veranstaltung teilgenommen und Trends, Bedürfnisse, Best Practices und touristische Zukunftskonzepte diskutiert.
SONJA WOLF
Spassig-neckend berichtete die erst 21-jährige Comedian Reena Krishnaraja, was der jungen Generation beim Wandern wichtig ist. Und nahm bei der Ansprache ans (teilweise gar nicht mal so viel) ältere Publikum des Wandergipfels kein Blatt vor den Mund: «Eigentlich müsste ich euch siezen, ihr könntet meine Grosseltern oder Urgrosseltern sein.» Auch den emeritierten Zürcher Professor François Höpflinger, mit dem sie die Podiumsdiskussion bestritt, neckte sie aufgrund seines Alters mit dem Satz: «Bei Ihnen habe ich mehr so den Jööö-Faktor!»
Nun, es ging bei diesem Teil des Wandergipfels zweifelsohne um den Generationenunterschied generell und die Wandervorlieben der einzelnen Generationen im Speziellen. «Wandern aus der Sicht der GenZ. Was stimmt mit uns (nicht)?» versuchte Reena Krishnaraja den Anwesenden – und zuletzt auch sich selbst, wie sie augenzwinkernd anmerkte – in ihrem Wander-Comedy-Vortrag zu erklären.
Wandern nach Social-Media-Anleitung
Der grösste Unterschied zwischen der Generation Z – also den zwischen 1995 und 2010 Geborenen – und der älteren Generation sei nach Krishnaraja der Gebrauch der Social Media. Sie ging dabei vor allem auf Instagram ein, was bezüglich Wandern Fluch und Segen zugleich sei. Denn auf Instagram sieht man kleine Videos und Reels zu traumhaften Destinationen, die dann in der Folge zu völlig überlasteten Hotspots werden können. Als Beispiele führte sie den Glarner See oder den Blausee an.
Auf der anderen Seite bringe das Teilen von touristischen Tipps aber auch Vorteile: «Solche kleinen Videos bringen Motivation und Inspiration. Ich finde sie viel persönlicher als Apps oder unpersönliche Werbebilder», findet die junge Comedian. Bei ihrer Generation, den «digital natives», schlage beim Ansehen von traumhaften Destinationen auf Instagram direkt die FOMO zu, die «fear of missing out» bzw. die Angst, diese tolle Erfahrung verpassen zu können. Als Beispiel spielt sie ein Video eines Kollegen ab, der solchen Reisecontent auf «instaswiss» kreiert, über 100’000 Follower zählt und genau erklärt, zu welchen traumhaften Destinationen man wie kommen kann.
Mit der Community Videos zu teilen sei den Jungen enorm wichtig. Man will zeigen: «Hey, ich war da!» und auch, dass man «fit, authentisch und bodenständig ist», erklärt die Comedian und Sozialwissenschaftsstudentin. «Das ist cool und diese Werte möchte man seinen Freunden vermitteln.»
Lieber raus in die Natur als auf Instagram!
Reiseziele per Social Media auswählen und teilen sei zwar wichtig, aber was die GenZ in Wirklichkeit immer stärker wolle, ist die Gegenbewegung zu Social Media: nämlich mehr wandern und mehr in die Natur hinausgehen. Das habe vor allem während der Coronazeit begonnen, welche die GenZ stark geprägt habe. Einfach um dem «Bleib zu Hause!» und dem ständigen Zusammenhocken mit der Familie zu entfliehen, sei Reena Krishnaraja damals wandern gegangen. «So ging es vielen. Mehr Leute gingen damals wandern als in den Ausgang.»
Kann man Wandernde typologisieren?
Während Reena Krishnaraja die Menschen humoristisch in Gruppen wie die «Bierwanderer» oder die eigentlichen Strandgänger, die sich in Flipflops in die Berge verirrt hätten, einteilte, versuchte Professor François Höpflinger eine wissenschaftliche Typologisierung der Wandernden. Das Hauptergebnis nahm er gleich zu Beginn vorweg: Es zeigen sich Unterschiede, aber kaum klare Typen. Immer mehr Menschen, vor allem der neueren Generationen, würden Sport- und Wanderarten sowie Motive und Beweggründe kombinieren. «Typenbildungen werden in einer Multioptionsgesellschaft obsolet», folgert er. Solche kombinatorischen Strategien würden in einer digitalisierten Welt rasch zu neuen Hypes, Modeströmungen führen, die aber auch schnell wieder verschwinden können.
Die Wertvorstellungen unterscheiden sich gar nicht so stark
Der emeritierte Soziologie-Professor, der sich auch mit Familienforschung, Demografie, Alters- und Generationenforschung beschäftigt, zeigte anhand von verschiedenen Folien auf, dass die Schweizer im Vergleich zu anderen Ländern zwischen den Generationen relativ wenige grundlegende Unterschiede bezüglich der Wertehaltungen haben. So seien beispielsweise das Vertrauen in die Polizei, in die Justiz, oder in die Politik durch die Bank weg bei allen Generationen recht ähnlich, sogar die Digitalnutzung. Dies habe auch Reena gegoogelt, wie sie in ihrem eigenen Vortrag sagte: «Die Werte von unserer GenZ sind zum Beispiel Freiheit, Familie, Gesundheit.» Und ans (in ihren Augen) «grauhaarige» Publikum gewandt: «Was sind dann eure Werte, wenn das unsere sind?»
Auch interessant: Laut Professor Höpflinger sind sogar die Erwartungen von Fun, Spass und einem aufregenden Leben ebenso wie die Wertvorstellungen weniger von der Generation abhängig, sondern eher davon, an welcher Stelle im Lebenszyklus sich eine Person gerade befindet. Unbeschwerter sei man zweifelsohne in der Jugend und nach der Pensionierung, in der Lebensmitte gebe es naturgemäss die meisten Hürden und Probleme zu meistern.
Über die Zugänglichkeit des Wanderns
In der abschliessenden Podiumsdiskussion mit Moderator Nik Hartmann kam das altersmässig breit gestreute Trio noch auf den wichtigen Punkt der Zugänglichkeit beim Wandern. Mit Zugänglichkeit sind verschiedene Dinge gemeint: Einmal möchte die GenZ nicht viel googeln und Informationen zusammensuchen. Das Wanderziel soll ihr durch ein gluschtig-machendes Video sozusagen zufallen.
Auch wichtig für den Begriff der Zugänglichkeit: Die Destinationen sollten mit dem ÖV erreichbar sein, denn viele in Reenas Alter haben noch kein eigenes Auto.
Und bezüglich des sozialen Aspekts: Wandern sollte immer offen sein für alle. Alle in einer Schulklasse sollten mitwandern können, die mit und auch die ohne richtiges Schuhwerk. Da könnte aber auch ein wenig mehr Aufklärung übers Wandern nicht schaden, so Reena Krishnaraja.
FRANÇOIS HÖPFLINGER
François Höpflinger (76) ist emeritierter Soziologieprofessor an der Universität Zürich und forscht seit Jahrzehnten zu den Themen Alter und Generationen. Höpflinger ist Mitglied der akademischen Leitung des Zentrums für Gerontologie. Seine aktuellen Forschungsthemen: Strukturwandel des Alters, Wohnen im Alter und Arbeit in späteren Erwerbsjahren. Er hält Vorträge und berät Regierungen und Stiftungen. Höpflinger lebt mit seiner Frau in Horgen ZH. Das Paar hat zwei Kinder und vier Enkelkinder.
SWO
WAS IST DER SCHWEIZER WANDERGIPFEL?
Im Juni 2023 wurde der Verein Schweizer Wandergipfel gegründet. Der Verein ist nicht gewinnorientiert und politisch neutral. Vereinsmitglieder sind Gstaad Saanenland Tourismus und der Verband Schweizer Wanderwege.
Der Schweizer Wandergipfel leistet als Plattform für Dialog und Zusammenarbeit einen Beitrag, Antworten auf Fragen zu finden wie zum Beispiel: Wie gelingt es, das Wandern in den Dimensionen Ökologie, Gesellschaft und Ökonomie nachhaltig weiterzuentwickeln?
Der diesjährige Wandergipfel hatte als Leitthema «Wandern – Perspektivenwechsel & Seitenblicke» und beleuchtete drei Schwerpunktthemen im Detail: Neben «Wandern & Wertschöpfung – wie passt das zusammen?» und «Erholungsraum Natur – was sind die Perspektiven?» gab es auch interessante Beiträge zum Thema «Generationen X, Y, Z entschlüsselt – wer will was?»
Der erste Wandergipfel fand 2022 in Gstaad statt. In den geraden Jahren findet ein physischer Wandergipfel in der Destination Gstaad statt, in den ungeraden ein digitaler.
SWO
REENA KRISHNARAJA
Reena Krishnaraja gewann bereits mit 19 Jahren den SRF Best Talent Comedy Award 2022. Die gebürtige Ausserrhoderin mit tamilischen Wurzeln erzählt auf der Bühne, wie sie diese Kombination durch den Alltag schafft. In die Stand-up-Comedy-Szene geriet Reena aus Versehen. Um ihre Mathenote an der Kantonsschule zu kompensieren, schrieb sie ein 100-minütiges Programm als Maturaarbeit. Mittlerweile studiert Reena tagsüber Sozialwissenschaften in Bern und abends bespielt sie die Bühnen der ganzen Deutschschweiz. Ab Oktober geht sie zum ersten Mal mit ihrem Soloprogramm auf Tour.
Ihre Themen: Die Generation Z, und der Kulturclash. Ihr Programm heisst «Kurkuma», denn: «Ich bin mit Kurkuma aufgewachsen.» Kurkuma ist laut Krishnaraja aber auch ein Bestandteil des Aromat-Gewürzes, und so sagt sie: «Wie Kurkuma im Aromat, so fühle ich mich manchmal als Tamilin im Appenzellerland.»
SWO