Waidwerk im Wandel: Verantwortung als Trophäe der Zukunft
10.10.2024 GesellschaftDie Jagd steht im Wandel. Im Vordergrund ist längst nicht mehr die Trophäe, sondern der Schutz des Ökosystems durch die Regulierung des Wildbestands. Nachhaltiges und klimafreundliches Wildfleisch – die moderne Trophäe?
ELISA OPPERMANN
Die Jagd steht im Wandel. Im Vordergrund ist längst nicht mehr die Trophäe, sondern der Schutz des Ökosystems durch die Regulierung des Wildbestands. Nachhaltiges und klimafreundliches Wildfleisch – die moderne Trophäe?
ELISA OPPERMANN
«Wir sind wie Gärtner in der Natur. Heger und Pfleger des Wildes und zum Teil auch des Waldes. Wenn wir das Jahr über unsere Arbeit gut gemacht haben und unseren Garten gut gepflegt haben, dann dürfen wir im Herbst auch ernten», sagt Tom Schild, Präsident des Jagd- und Wildschutzvereins Saanenland. Die Jagdsaison in der Region ist im vollen Gange. Die erste Spanne der Rothirschjagd lief bereits am 20. September aus, doch ab kommenden Samstag, 12. Oktober, eröffnet sie zum zweiten Mal – bis die, laut Schild, 104 freigegebenen Rothirsche im Saanenland erlegt sind.
Grund für die so genaue Abschusszahl sei die notwendige Regulierung des Wildbestandes. «Es gibt einen schönen Rothirschbestand im Saanenland. Das könnte zu Problemen im Wald führen», erklärt Schild. Es sei daher notwendig, den Bestand zu regulieren, um Schäden durch Verbiss und Schälen junger Bäume zu minimieren. «Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir nicht nur den Wald schützen, sondern auch den Wildbestand im Gleichgewicht halten.»
Weibliche Tiere im Visier: Effektive Bestandsregulierung
Die diesjährige Jagdplanung des Kantons Bern hat den Fokus auf weibliche Rothirsche gesetzt. In der ersten Jagdwoche durften ausschliesslich weibliche Rothirsche und ihre Jungtiere erlegt werden, denn weniger Weibchen bedeuten im Umkehrschluss weniger Jungtiere. Im offiziellen Jagdbericht dieses Jahres sind von insgesamt 1076 freigegebenen Tieren im Kanton Bern 730 weiblich. «Wenn man einen Wildbestand regulieren will, muss man vor allem bei den weiblichen Tieren und dem Nachwuchs eingreifen. Dies hat zu dieser Anpassung geführt. Eine Meinung, welche wir Jäger sicher teilen», betont Schild.
Eine Meinung, die ebenfalls im Jagdinspektorat des Kantons Bern geteilt wird: «Eine Hirschkuh hat ein Jungtier pro Jahr, ein Stier hingegen kann rund 20 Hirschkühe decken» sagt Nicole Imesch, (Jagdinspektorin des Kantons Bern), gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Laut ihr sei es sogar zu erwarten, dass diese neuen Regelungen dazu führen, dass viele Jäger in dieser Saison zu Hause bleiben würden aufgrund der ausbleibenden Geweihtrophäen. «Der Trophäenkult ist eher eine männliche Angelegenheit», erklärt die Jagdinspektorin. Doch es geht bei der Jagd nicht nur um Trophäen, betont sie, sondern um nachhaltige Regulierung des Wildbestandes, Laut dem World Wildlife Fund (WWF) ist die Jagd in der Schweiz dann nachhaltig, wenn sie auf standortheimische und gesunde Wildbestände ausgerichtet ist und deren Lebensräume pflegt und schützt. Ein Leitsatz, den auch Schild vertritt: «Wir kümmern uns um die Natur, wir retten Rehkitze im Frühsommer vor dem Mähtod, Hegen und Pflegen die Natur und helfen somit unserer regionalen Fauna und Flora, also unserem Ökosystem.»
Eine Trophäe sei etwas sehr Schönes und für alle Jägerinnen und Jäger eine schöne, bleibende Erinnerung, meint Schild. «Aber dass es uns Jägerinnen und Jägern primär um Trophäen geht, ist eine Aussage, welche ich so nicht teilen würde. Wenn ich sehe, wie gross die Freude vieler Waidfrauen und Waidmänner am Jagderfolg auf ein weibliches Tier oder ein Jungtier ist, spüre ich nichts von Trophäenkult.»
Wildfleisch als umweltfreundliche Alternative
Während die Jagd auf der einen Seite hilft, das einheimische Ökosystem zu wahren und den Wildbestand nachhaltig zu regulieren, so steuert es auf der anderen Seite noch einen weiteren positiven Punkt bei: die Klimaneutralität.
Laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz gilt Wildfleisch als besonders nachhaltig, da Wildtiere in ihrem natürlichen Lebensraum leben und keine energieintensiven Fleischtransporte benötigen. Und gemäss dem WWF ist Wildfleisch zudem eine gesündere Alternative zu konventionellem Fleisch, da es reich an Nährstoffen und frei von Zusatzstoffen ist. «Wer nicht auf Fleisch verzichten möchte, leistet mit dem Konsum von Wild einen kleinen Beitrag zum Klimaschutz», betont der WWF. Wichtig ist jedoch, dass das Wild aus nachhaltiger Jagd stammt und nicht von Wildtierfarmen, die oftmals negative ökologische Folgen haben.
Bleifreie Munition als Herausforderung
Ein wichtiger Aspekt der nachhaltigen Jagd ist der Verzicht auf bleihaltige Munition. Blei in Jagdkugeln stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar, da sich beim Aufprall kleinste Bleipartikel im Fleisch ablagern können. Besonders Schwangere und Kinder sind gefährdet, da selbst geringe Mengen an Blei langfristig gesundheitliche Schäden verursachen können. Deshalb wird zunehmend auf bleifreie Alternativen gesetzt, um die Sicherheit des Fleisches zu gewährleisten. Schild sieht dies eher entspannt «Im Kanton Bern müssen wir ab 2027 bei den Kugelpatronen auf bleifrei wechseln», aber bis heute sei ihm noch kein Fall einer Vergiftung beim Menschen bekannt. «Es ist immer ein Pro und ein Kontra – einerseits ist die Jagd besser als die Massentierhaltung und die vielen Pestizide, die in der grossflächigen Landwirtschaft eingesetzt werden. Andererseits birgt sich das Risiko bleihaltiger Munition im Wildfleisch. Was ist da schlimmer?», stellt er in Frage. Das Problem sehe er jedoch bei den Vögeln. «Insbesondere Adler und Bartgeier könnten sich am Verzehr eines Aufbruches (Innereien der Wildtiere) vergiften, sollte dieser Bleirückstände enthalten. Jedes erlegte Tier muss aus hygienischen Gründen so schnell wie möglich ausgeweidet werden, um die Wildbretqualität zu erhalten. Dies passiert in den meisten Fällen vor Ort. Daher ist es wichtig, als Jäger seiner Pflicht nachzugehen und den Kadaver abzudecken», ergänzt Schild. Somit könne eine schleichende Vergiftung anderer Wildtiere verhindert werden.