Vom Wolf bis zur LSD-gestützten Psychotherapie
30.11.2023 SchuleDie thematische Vielfalt der diesjährigen Maturaarbeiten der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten beeindruckte. Themen aus Sport, Handwerk und Tourismus wurden ebenso beleuchtet wie geschichtliche, geopolitische und medizinische Inhalte. Die Fragerunde, die sich jeweils an die ...
Die thematische Vielfalt der diesjährigen Maturaarbeiten der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten beeindruckte. Themen aus Sport, Handwerk und Tourismus wurden ebenso beleuchtet wie geschichtliche, geopolitische und medizinische Inhalte. Die Fragerunde, die sich jeweils an die Präsentation anschliesst und nicht bei allen gleich beliebt ist, war ebenso spannend wie die Präsentationen selbst. Die Präsentationen enthielten neben steilen Thesen auch harte Fakten.
JENNY STERCHI
Wussten Sie, wann der erste Wolf in die Schweiz zurückkam?
Es war 1995. Maturandin Janine Westemeier startete mit einem Beitrag des Schweizer Fernsehens SRF in ihre Präsentation. Sie hatte sich mit dem Thema «Wolf und Herdenschutzhunde im Konflikt mit der Landwirtschaft, Gesellschaft und Politik auseinandergesetzt. Bevor sie in der Fragerunde bestätigte, dass sich ihre Sicht auf die Problematik während des Verfassens der Arbeit geändert habe, informierte sie sehr ausgewogen und anhand von Statistiken, wie Mensch und Wolf zusammenleben. Dabei beeindruckten die konfliktorientierte Sicht mit 815 Wolfsrissen im Jahr 2020 in der Schweiz ebenso wie die Tatsache, dass sich derzeit rund 30 Wolfsrudel auf Schweizer Boden bewegen. Die Chance natürlicher Regulation der Wildbestände durch den Wolf die gewonnene Biodiversität machten ihren Vortrag sehr ausgewogen. Sie machte auf Möglichkeiten für Nutztierbesitzer aufmerksam, durch die Schafe und Ziegen geschützt und auch Wanderern Sicherheit geboten wird. Wanderwege nicht durch das eingezäunte Weideland führen zu lassen, war eines ihrer Beispiele. Die Nähe zu den Herdenschutzhunden, die in ihrer eigenen Familie dazugehören, wurde greifbar, als sie Fotomaterial präsentierte. Sie zeigte sich überzeugt davon, dass Hütehunde nicht zwangsläufig zur Gefahr für Wanderer werden. Die Bewegung in der Politik bezüglich des Wolfes konnte sie an einer sehr aktuellen Gesetzeslage verdeutlichen. Denn, obwohl der Wolf weiterhin eine geschützte Art bleibt, sind seit heute im Kanton Bern präventive – also Wölfe, von denen eine akute Bedrohung für Nutztiere ausgeht – Abschüsse erlaubt.
Wussten Sie, dass Kupfer antibakteriell wirkt?
Es liegt an den chemischen Eigenschaften des Metalls. Kupfer kann in Bakterien eindringen und so ihre Struktur zerstören. Agnes Dubach hatte sich mittelalterlichen Heilmitteln verschrieben. Ihr Thema lautete: «Antibiotische Wirkung eines mittelalterlichen Heilmittels auf das Bakterium E.coli.» Ganz klar konnte sie in der Fragerunde bestätigen, dass Apothekerin einer ihrer favorisierten Berufswünsche ist. In der Präsentation zuvor forderte sie die unkundigen Zuhörer mit chemischen Verbindungen in Knoblauch, Lauch, Ochsengalle und Weisswein. In Experimenten mit besagten Stoffen über mehrere Monate konnte sie neben unangenehmen Gerüchen auch deren antibakterielle Wirkung nachweisen. Sie hatte eine Rezeptur einer Augensalbe, die im Mittelalter zusammengestellt wurde, als Grundlage.
Wussten Sie, dass ein Hotel Menschen braucht?
Und zwar nicht nur als Gast, sondern auch als Mitarbeitende. Davon ist Maturand Moritz Wichmann überzeugt. In seiner Präsentation zu «Analyse und Prognose zur Hotellerie in der Schweiz» machte er deutlich, dass die Rahmenbedingungen einer Tourismusdestination immensen Einfluss auf die Hotellerie dort haben. «Wenn Bergbahnen das ganze Jahr über fahren, kommen auch die Hotelgäste das ganze Jahr über.» Für diese Aussage hatte er sich die österreichische Destination Kitzbühel, die vergleichbar gross ist wie das Saanenland, als Orientierungspunkt herangezogen.
Mit seiner Sicht auf die Digitalisierung gehört er ganz sicher nicht zur Mehrheit der kommenden Generationen. Zumindest was die Digitalisierung in Hotelbetrieben angeht. «Der Ferientourist möchte seinen Zimmerschlüssel von einem echten Menschen in Empfang nehmen und nicht vor einem Self-Check-In stehen oder sich alle Türen mit dem Smartphone selbst öffnen», war sich Moritz ziemlich sicher.
Wussten Sie, dass Depressionen mit LSD behandelt werden?
Nicht in jedem Fall, aber durchaus erfolgversprechend. Emilia Bach hatte sich mit dem Thema «Vom Tabu zur Therapie: LSD-unterstützte Therapie bei Depressionen» befasst. Die Maturandin wies einleitend auf die gegenwärtig steigende Zahl diagnostizierter Depressionen hin. Das 1943 entdeckte und nach Missbrauch in den 1950-ger Jahren verbotene Halluzinogen hat grosses Potenzial, an Depressionen erkrankten Menschen zu helfen. Vorausgesetzt, die Qualität des Mittels ist einwandfrei, die Verabreichung wird professionell begleitet, die Rahmenbedingungen sind optimal und die Krankheitsbilder bestens bekannt. Von der Maturandin war zu erfahren, dass eine Behandlungssitzung zwischen acht und zwölf Stunden dauert und von geschulten Therapeuten begleitet wird. Voraussetzung für eine solche LSD-gestützte Behandlung ist der Nachweis, dass alle vorausgegangenen Therapieversuche erfolglos gewesen sind. Dem Vorwurf, mit Rauschmitteln zu behandeln, trat sie entgegen: «Die klinische Anwendung unterscheidet sich in Dosierung und Kontrolle der Substanz deutlich von der Nutzung als Rauschmittel oder Partydroge.» Sich ihrer Verantwortung bewusst, warnte sie vor der Gefahr eines Hypes, mit dem LSD wieder in Hände geriete, die nicht verantwortungsvoll damit umgingen.
Wussten Sie, dass auch Sie zuhören dürfen?
Die Präsentationen sind jeweils öffentlich und werden in den Medien bekannt gegeben. Jedes Jahr präsentieren die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten des Gymnasiums Interlaken, Abteilung Gstaad, in ihrem letzten Schuljahr ihre Maturaarbeiten den Lehrpersonen, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie ihrer Verwandtschaft. Und stellen sich nach dem wissenschaftlich erarbeiteten Referat den Fragen aus dem Publikum.
Es ist beeindruckend, wie genau die jungen Erwachsenen zum Teil recherchieren, wie tief sie in ihr Thema mitunter eintauchen und wie überzeugend sie vortragen.
Mit dem Nachweis, wissenschaftlich arbeiten und sicher präsentieren zu können, ist für die Maturandinnen und Maturanden ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zur Matura erreicht.