Über die Widerstandsfähigkeit des alpinen Tourismus

  24.06.2024 Gstaad

In jüngster Zeit haben uns verschiedene Krisen erschüttert, oftmals gleichzeitig. An der Generalversammlung des Verbands Berner Regionalbanken sprach der emeritierte Tourismusprofessor Hansruedi Müller darüber, wie widerstandsfähig der alpine Tourismus auf diese Ereignisse reagiert und nahm sich die Ferienregion Gstaad als Beispiel.

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Wie misst man, inwiefern eine Region oder ein Unternehmen resilient ist? Der Gradmesser ist die Geschwindigkeit, mit der sie sich nach einer Krise erholen. In den letzten Jahren haben sich diese gehäuft: die Corona-Pandemie, Fachkräftemangel, Kriege und geopolitische Konflikte, Energieversorgung, Klimawandel. Es habe sich gezeigt, dass der alpine Tourismus oftmals viel resilienter sei – also anpassungs- und widerstandsfähiger –, als beispielsweise der Stadttourismus, erklärte Hansruedi Müller an der Generalversammlung des Verbands Berner Regionalbanken (siehe Kasten «Dies war die GV des Verbands Berner Regionalbanken»).

Der emeritierte Professor der Universität Bern und ehemalige Direktor des Instituts für Freizeit und Tourismus veröffentlichte kürzlich sein neuestes Buch «Unterwegs – Begegnungen und Reflexionen zum Tourismus», welches er mit Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger verfasste. Das erste Kapitel widmet sich der Resilienz (siehe Kasten «Davon handelt das Buch»).

Bricht eine Krise aus, ist der Tourismus immer direkt betroffen
Als resilientes Beispiel nahm Müller unter anderem das Hotel Gstaad Palace, in dessen Saal auch die Generalversammlung stattfand. Es stehe symbolisch für die Resilienz, so sei das Gebäude kurz vor dem ersten Weltkrieg eröffnet worden und sei damit mitten in eine Krise geraten, stehe aber bis heute als Wahrzeichen einer ganzen Tourismusregion. «Bricht eine Krise aus, trifft dies den Tourismus fast immer schnell, hart und heftig», erklärte Müller.

Eine Widerstandsfähigkeit zu entwickeln und sich der Situation anzupassen, sei deshalb von grösster Wichtigkeit. Die Akteur:innen müssten ihre Lehren aus Krisen ziehen, indem sie Risikoanalysen durchführen, Kooperationen ansteuern, Unterstützung suchen und insbesondere den Teamgeist fördern würden. Als Interviewpartner für sein Buch und somit auch für den Vortrag stand der Inhaber Andrea Scherz Red und Antwort. Als die Corona-Pandemie ausbrach, hat er alle Mitarbeitenden im Bankettsaal versammelt und ihnen geschildert, dass er die Situation noch nicht ganz verstehe, sie aber keine Angst haben müssten. Es sei nicht die erste Krise, welche das Gstaad Palace überwunden habe. Die richtige Taktik, findet der Tourismusprofessor: Sicherheit in seinem eigenen Umfeld zu bieten sei der Schlüssel, um gemeinsam eine Krisensituation anzugehen und bestenfalls zu überleben.

Scherz verriet den Anwesenden zudem seine Drei-Stufen-Taktik, wie er eine Krise angehe: In einem ersten Schritt die Krise akzeptieren, in einem zweiten mit einer positiven Geisteshaltung nach Lösungen suchen und im dritten und letzten Schritt gezielt Pausen machen und sich geistige Erholung leisten. «Während der Pandemie zog ich mich in meinen Garten zurück und fütterte dort Eichhörnchen», erzählte Scherz lachend, das Publikum tat es ihm gleich.

Aufs richtige Pferd setzen
Neben der Förderung des Teamgeistes und der Wahrnehmung von Eigenverantwortung sei es auch wichtig, ein Umfeld zu schaffen, welches in Krisenfällen standhalten könne, erläuterte Hansruedi Müller. Ein hoher Binnenmarkt-Anteil sei ein guter Resilienzfaktor. Dies treffe in der Ferienregion Gstaad zu: Der gesunde Gästemix, bei dem die Mehrheit aus der Schweiz stamme, habe die Destination während der Pandemie eher verschont als Tourismusregionen wie Interlaken und die Jungfrauregion, die auf ausländische Gäste ausgerichtet seien.

Tourismusdirektor Flurin Riedi berichtete den Bankern, dass er im Austausch mit Berufskollegen jeweils stolz berichten könne, wie resilient die Ferienregion Gstaad sei. Woran liegt es? «Es sind verschiedene Faktoren. Meiner Meinung nach ist jedoch die Tourismusstrategie entscheidend, bei der wir versuchen, möglichst alle Interessenfelder abzuholen und zielgerichtet die Zukunft zu gestalten», so Flurin im Anschluss an die GV.


DIES WAR DIE GV DES VERBANDS BERNER REGIONALBANKEN

Die 111. Generalversammlung des kantonalen Verbandes Berner Regionalbanken fand in diesem Jahr im Gstaad Palace statt. Zum Verband gehört auch die Saanen Bank, die in diesem Jahr ihr 150. Geschäftsjahr feiert. Der Geschäftsführer Beat Hiltbrunner berichtete von einem guten Bankenjahr, für manche Regionalbanken sei es sogar eines der erfolgreichsten gewesen. So habe die Bilanzsumme aller Verbandsmitgliederbanken erstmals die 60 Milliardenmarke geknackt. Die Kehrseite seien die höheren Steuerabgaben, die gegenüber dem Vorjahr um rund einen Drittel angestiegen seien. Hiltbrunner präsentierte als Geschäftsführer das letzte Mal die Zahlen und wurde applaudierend in den Ruhestand verabschiedet, sein Nachfolger ist Bruno Tanner.

Der Präsident Christoph Müller informierte über die verschiedenen Verbandstätigkeiten im vergangenen Jahr, so auch über die Verhandlungen mit der kantonalen Steuerverwaltung: Die Regelung der pauschalen Delkredererückstellungen sei per Ende 2023 ausgelaufen und man sei mit den Vertretenden der Steuerverwaltung dran, neue Richtlinien auszuarbeiten. Das Problem seien die Begrifflichkeiten, so Müller, die noch definiert werden müssten. Er hoffe in diesem Jahr eine klare Regelung ohne grossen Interpretationsspielraum präsentieren zu können und damit eine Lösung für alle Banken im Kanton Bern.

JOP


DAVON HANDELT DAS BUCH

Das Buch «Unterwegs» von Martin Nydegger und Hansruedi Müller bietet ein facettenreiches Panorama des Tourismus. Die Autoren, mit kollektiven 75 Jahren Berufserfahrung, besuchten 20 Persönlichkeiten des Tourismus und diskutierten aktuelle Themen wie Resilienz, «Overtourism», Nachhaltigkeit oder Diversität. Hotelbesitzer Andrea Scherz und Investor Samih Sawiris teilen darin ihre Ansichten zu Resilienz und Ganzjahrestourismus. CEO Laura Meyer und Werbeprofi Dominique von Matt beleuchten Fernmärkte und Social-Media-Marketing. Das Buch soll zum Nachdenken anregen und bietet zahlreiche Denkanstösse und Empfehlungen zur touristischen Entwicklung.

Hansruedi Müller ist emeritierter Professor der Universität Bern. Von 1989 bis 2012 leitete er das Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF) der Uni Bern. Bis 2015 war er zudem Präsident von Swiss Athletics sowie der Leichtathletik-EM Zürich 2014.

Martin Nydegger führt Schweiz Tourismus seit 2018 als Direktor. Nach einer Handwerkslehre studierte er Tourismus und erwarb einen Executive MBA sowie Diplome von den Universitäten St. Gallen und Stanford. Internationale Arbeitserfahrung sammelte er in den Niederlanden, Indien und Afrika.

PD/JOP

«Unterwegs – Begegnungen und Reflexionen zum Tourismus» von Martin Nydegger und Hansruedi Müller. 400 Seiten, Weber Verlag AG. ISBN 978-3-03818-539-0.

 


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