Sommerzeit in den Bergen: zwischen Mühe und Musse, zwischen Arbeit und Andacht
27.06.2025 KircheEin Blick auf Ferien, Bergbauern, Tourismus und das Geschenk der Schöpfung
Ferienzeit: Wenn der Alltag Pause macht
Der Sommer steht vor der Tür. Die Koffer werden gepackt, Kinder zählen die Tage bis zur Abreise und auf den Strassen ...
Ein Blick auf Ferien, Bergbauern, Tourismus und das Geschenk der Schöpfung
Ferienzeit: Wenn der Alltag Pause macht
Der Sommer steht vor der Tür. Die Koffer werden gepackt, Kinder zählen die Tage bis zur Abreise und auf den Strassen stauen sich Autos voller Urlaubsfreude. Für viele bedeutet Sommer: endlich ausspannen, die Seele baumeln lassen, neue Kraft schöpfen. In unserer schnelllebigen Welt wird diese Zeit der Entschleunigung immer wertvoller.
Der Prediger Salomo wusste es schon:
Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. (Prediger 3,1)
Die Sommerferien sind eine solche Zeit: ruhen, geniessen, loslassen. In den Bergen finden viele Erholung – beim Wandern, beim Blick auf die Gipfel, beim Lauschen der Bäche, beim Klang der Kuhglocken.
Doch während die einen geniessen, beginnt für andere die anstrengendste Zeit des Jahres.
Hochsommer: die Bergbauernzeit
Für die Bergbauern bedeutet der Sommer harte Arbeit: Die Kühe werden auf die Alp getrieben, die Weiden gepflegt, Käse produziert, Heu geerntet. Es ist ein Wettlauf mit dem Wetter, mit der Natur, mit den eigenen Kräften. Während der Gast zur Ruhe kommt, stehen die Bauern vor langen, kräftezehrenden Arbeitstagen.
Die Bibel kennt diese Spannung zwischen Arbeit und Ruhe. Schon die Schöpfungsgeschichte endet mit dem siebten Tag, dem Sabbat, an dem Gott selbst ruht:
Und Gott ruhte am siebten Tage von all seinem Werk, das er gemacht hatte. (1. Mose/Genesis 2,2)
Doch vorher war Arbeit: das Formen der Welt, das Ordnen des Chaos, später das Säen und Ernten. Der Mensch ist hineingestellt in diesen göttlichen Rhythmus: arbeiten und ruhen, wirken und geniessen.
Die Berge als Ort der Gottesnähe
Nicht zufällig empfinden viele Menschen in den Bergen eine besondere Nähe zu Gott. Die majestätischen Gipfel, der weite Himmel, das Spiel des Lichts – all das lässt uns staunen. Psalm 121 beschreibt diese Empfindung:
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Seit jeher sind Berge Orte der Gottesbegegnung: Mose empfängt auf dem Sinai die Zehn Gebote, Jesus zieht sich auf den Berg zurück zum Gebet, seine Verklärung geschieht auf einem hohen Berg. Der Berg wird Sinnbild für das Aufsteigen zur Gottesnähe.
Für die Feriengäste wird der Berg so zum Ort der Erbauung. Für die Bauern bleibt er Ort der Berufung und Verantwortung.
Berufung zum Hüten und Bewahren
Die Bergbauern leben die uralte Berufung des Menschen, Hüter der Schöpfung zu sein. Schon Adam (zu Deutsch: «Erdling») erhält den Auftrag:
Und Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre.
(1. Mose/Genesis 2,15)
Auch in Zeiten von Maschinen und Globalisierung spüren die Bauern täglich diese Verantwortung. Sie sind direkt abhängig von Regen und Sonne, Gesundheit und Segen. Ihr Tun ist Dienst am Leben selbst.
Hier zeigt sich ein tiefes theologisches Bild: Der Mensch ist Verwalter, nicht Besitzer der Erde. Die Weide gehört letztlich Gott. Der Mensch darf sie nutzen, soll sie aber auch schützen. Angesichts von Klimakrise und Ressourcenverbrauch und ihrer katastrophalen Auswirkungen gerade auch in den Alpen wird dieser Auftrag immer dringlicher.
Sommerzeit: Hochsaison für Tourismus und Gewerbe
Doch nicht nur die Bauern arbeiten hart. In Hotels, Restaurants, bei Seilbahnen, in Geschäften, im öffentlichen Verkehr, bei Rettungsdiensten, Handwerkern und Baufirmen herrscht Hochbetrieb. Was für den Gast Erholung ist, bedeutet für viele Arbeitskräfte lange Tage, straffe Abläufe und hohe Erwartungen.
Die Arbeit im Tourismus ist mehr als Erwerbsarbeit — sie ist ein Dienst an den Mitmenschen und letztlich auch ein geistlicher Dienst. Gastfreundschaft hat in der Bibel einen hohen Stellenwert. Abraham empfängt unter der Eiche von Mamre die himmlischen Boten (1. Mose/Genesis 18), und im Neuen Testament lesen wir:
Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. (Hebräer 13,2)
Jedes freundliche Begrüssen, jedes hergerichtete Zimmer, jede servierte Mahlzeit ist Teil dieses alten Dienstes. Der andere wird als Mitmensch angenommen, als Gast Gottes behandelt.
Arbeit als Gottesdienst – auch im Gewerbe
Auch das lokale Gewerbe arbeitet auf Hochtouren: Dachdeckerinnen, Gärtner, Bauarbeiterinnen, Maler und Elektrikerinnen nutzen das gute Wetter für Arbeiten, die im Winter unmöglich wären. Ihre Arbeit ist oft unsichtbar, aber unverzichtbar für das reibungslose Funktionieren des Ferienortes.
Der Reformator Martin Luther sagte treffend:
Der Schuhmacher, der seine Schuhe gut macht, ehrt Gott ebenso wie der Priester, der betet.
Diese Sichtweise verleiht jeder ehrlichen Arbeit Würde. Denn auch die gepflegten Wanderwege, die sauberen Strassen, die funktionierende Infrastruktur tragen zur Erholung der Gäste bei. Und oft geschieht diese Arbeit frühmorgens oder spätabends, wenn der Gast noch schläft oder schon beim Abendessen sitzt.
Genuss mit Verantwortung
Wer Erholung sucht, betritt eine Landschaft, die von der Arbeit vieler Generationen geprägt ist. Paulus mahnt uns:
Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. (1. Korinther 10,23)
Genuss und Erholung sind gut und wichtig. Doch sie fordern Respekt gegenüber der Natur, den Arbeitenden und der Schöpfung. Achtsamer Tourismus, Nachhaltigkeit und Wertschätzung werden dieser Verantwortung gerecht.
Der Sabbat als heilsames Gleichgewicht
Vielleicht können wir von den alten Sabbat-Regeln lernen. Im Alten Testament ruhten am Sabbat nicht nur die Menschen, sondern auch Tiere, Felder und das ganze Land (3. Mose/Leviticus 25). Der Sabbat verkörpert ein göttliches Gleichgewicht zwischen Arbeit und Ruhe, Mühe und Genuss, Verantwortung und Freiheit.
Auch unsere Sommerzeit könnte so gestaltet werden: als heiliger Rhythmus zwischen Werktag und Feiertag, zwischen Einsatz und Erholung.
Die Berge als Gleichnis des Lebens
Der Berg ist Sinnbild unseres Lebens. Auf dem Gipfel angekommen, blicken wir zurück auf den anstrengenden Aufstieg, staunen über die Weite und Schönheit. So ist unser Lebensweg: eine Mischung aus Arbeit und Ruhen, aus Kämpfen und Geniessen. Im Glauben wissen wir, dass unser Ziel jenseits aller Berge liegt:
Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebräer 13,14)
Dankbarkeit als Haltung
Ob als Feriengast, als Bergbäuerin, Verkäufer, Hotelfachfrau, Handwerker oder Seilbahntechnikerin: Vielleicht können wir diesen Sommer mit dankbarem Herzen begehen. Dankbar für die Schönheit der Schöpfung, für die Arbeit vieler Hände, für das Geschenk jedes neuen Tages.
Denn letztlich ist jeder Tag, ob auf der Alp oder im Hotel, in der Werkstatt oder auf der Sonnenterrasse, ein Geschenk aus Gottes Hand.
Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. (Psalm 118,24)
Ich wünsche allen einen gesegneten Sommer — den Ruhenden wie den Arbeitenden!
PETER KLOPFENSTEIN, PFARRER