Lauenen – quo vadis?
31.12.2024 SerieANITA MOSER
Verschiedene Gemeinden in der Schweiz kennen den Amtszwang. Der Fall in der Urner Gemeinde Wassen – zwei Personen wurden gegen ihren Willen in den Gemeinderat gewählt – schlug medial hohe Wellen. Die Gemeinde Lauenen schrammte an der Gemeindeversammlung ...
ANITA MOSER
Verschiedene Gemeinden in der Schweiz kennen den Amtszwang. Der Fall in der Urner Gemeinde Wassen – zwei Personen wurden gegen ihren Willen in den Gemeinderat gewählt – schlug medial hohe Wellen. Die Gemeinde Lauenen schrammte an der Gemeindeversammlung knapp daran vorbei, eine Person gegen ihren Willen in den Gemeinderat zu hieven.
Highlight bedeutet gemäss Duden Höhepunkt, Glanzpunkt. Die Gemeindeversammlung in Lauenen vom 23. November 2024 war nicht mein persönliches journalistisches Highlight im eigentlichen Sinn, sondern eher ein denkwürdiger Anlass mit Nachhall.
Die Wahl von zwei Personen in den Gemeinderat von Wassen hat medial ein grosses Echo ausgelöst. Die beiden wurden – mangels Kandidaturen – gegen ihren Willen gewählt. Auch die Gemeinden Gsteig und Lauenen kennen den Amtszwang. Mangels Wahlvorschläge wurde Cornelia Walker-Kübli im Juni 2023 ohne ihre Einwilligung in den Gemeinderat von Gsteig gewählt. Lauenen schrammte im November 2024 knapp an diesem unpopulären Entscheid vorbei.
Es galt, nach der Demission eines Gemeinderates einen Nachfolger/eine Nachfolgerin zu wählen. Von den zehn zur Wahl Vorgeschlagenen baten jedoch neun, ihren Namen nicht auf den Stimmzettel zu schreiben. Die anwesenden Stimmberechtigten hielten sich daran und wählten den einzig verbliebenen Kandidaten in den Rat. Die vielen Absagen stimmten sie nachdenklich, sagte Gemeindepräsidentin Ruth Oehrli-Pekoll. Sie hoffe, dass Lauenen auch in Zukunft eine eigenständige Gemeinde bleiben könne, mit motivierten Leuten, die mitziehen. Ähnliche Gedanken machte sich auch Gemeinderat Serge Jungi: «In zwei Jahren stehen zwei Gemeinderäte im obligatorischen Austritt – wie sieht es dann aus?», fragte er.
Bringt der Amtszwang etwas?
Diese Frage war Thema der Sendung «Rendez-vous am Mittag» vom 2. Dezember auf SRF 1. Er finde es problematisch, jemanden zu einem politischen Amt zu verknurren, sagte Politologe Jonas Willisegger von der Hochschule Luzern, der Gemeinden bei Führungsfragen berät. Die Qualität der Arbeit im Gemeinderat unter einem erzwungenen Engagement leide. Denn Personen, die zu einem Amt gezwungen würden, erledigten ihre Aufgaben möglicherweise nicht mit der gleichen Sorgfalt und Motivation wie solche, die sich freiwillig für ein Amt zur Verfügung stellten. Zudem führe der Amtszwang häufig auch dazu, dass die Gewählten zeitlich überlastet seien, was die Effektivität einer Gemeindeverwaltung beeinträchtigen könne.
Alternativen kosten Geld
Alternativen zum Amtszwang gäbe es zwar, betonte Jonas Willisegger. Eine bessere Entlöhnung zum Beispiel. Oder eine Neuorganisation nach dem Geschäftsführungsmodell, bei dem ein Gemeinde-CEO das Tagesgeschäft besorge, während die Mitglieder des Gemeinderates nur strategisch tätig seien – mit deutlich geringerem Zeitaufwand. Doch all diese Massnahmen würden Geld kosten und das sitze bei kleineren und peripheren Gemeinden häufig nicht so locker oder sei auch gar nicht vorhanden.
Kreis von Anwärtern:innen vergrössern
Diesen Dörfern bleibe daher nur die Möglichkeit, den Kreis ihrer Einwohner:innen zu vergrössern, welche ein Amt übernehmen könnten, so der Politologe. Etwa, indem die Gemeinden die Wohnsitzpflicht aufhöben, damit auch Interessenten von ausserhalb zu Wahlen antreten könnten.
Was steht auf dem Spiel?
Findet sich nicht genügend Personal für die Führung einer Gemeinde, steht deren Eigenständigkeit auf dem Spiel. Es droht die Zwangsverwaltung durch den Kanton. Oder als letzter Ausweg eine Fusion mit einer anderen Gemeinde. Und dagegen regt sich oft Widerstand. Aber manchmal sei es der einzige Ausweg, wenn man nicht genügend Leute finde, betonte Willisegger. Beharre eine Gemeinde dagegen auf dem Amtszwang, müsse sie sich fragen, wie zukunftsfähig sie aufgestellt sei.
«Man lernt dazu»
Unfreiwillig Gewählte können aber auch Geschmack finden an ihrem Amt. Wie etwa jene im Beitrag erwähnte Finanzvorsteherin einer Gemeinde im Kanton Luzern, die 2016 per Amtszwang zur Gemeinderätin gewählt wurde. Das Leben neu zu organisieren, sei damals nicht einfach gewesen, doch die Wahl bereue sie nicht, erzählte sie. Im Frühling hat sie sich für eine weitere Legislatur wählen lassen. Diesmal freiwillig.
Zurück nach Lauenen: An der Gemeindeversammlung gaben die meisten der neun Vorgeschlagenen berufliche Belastung oder Weiterbildungen als Gründe an, sie nicht zu wählen, oder sie trauen sich das Amt nicht zu. Beides ist nachvollziehbar. Personen, die für den Gemeinderat vorgeschlagen oder als Kandidat:innen portiert werden, sind meistens bereits sehr engagierte Mitbürger:innen. Sei dies im Beruf, in der Familie, im Verein, bei der Feuerwehr, in einem Verband, in einer Kommission usw. Wer gegen seinen Willen gewählt wird, muss folglich ebenfalls gegen seinen Willen Prioritäten setzen und das eine oder andere Amt aufgeben. Wer freiwillig kandidiert, müsste sich dessen vor der Wahl bewusst sein und sich Gedanken darüber machen. Aber eigentlich hat die Erfahrung in unseren drei Gemeinden gezeigt: In der Regel wachsen die Gewählten – ob sie freiwillig kandidiert haben oder ins Amt gezwungen wurden – an ihrer Aufgabe.
Das Amt als Gemeinderat sei spannend, es könne aber auch sehr herausfordernd sein, betonte denn auch Stephan Perreten, der nach sechs Jahren als Ratsmitglied demissionierte und um dessen Nachfolge es ging. Er wolle aber allen Mut machen, denn in seinen Augen könne jeder und jede dieses Amt ausführen, auch dank der Unterstützung der Verwaltung. Und Gemeindepräsidentin Ruth Oehrli-Pekoll gestand, dass auch sie sich das Amt nicht zugetraut habe. «Aber man lernt dazu.»
Wie ich die Lage in Lauenen einschätze, soll das Dorf auch in Zukunft weder zwangsverwaltet noch mit einer anderen Gemeinde fusioniert werden. So bin ich gespannt, wie die Wahlen in Lauenen in zwei Jahren ausgehen werden.
Was ist Ihre Meinung?
Amtszwang ja oder nein? Ich persönlich bin zwiegespalten. Habe ich die Wahl zwischen einer Person, die zwar nicht will, der ich aber das Amt durchaus zutraue und die mehr oder minder auch meine politischen Werte teilt, und einer Person, die sich zwar freiwillig aufstellen lässt, der ich das Amt aber weder zutraue noch die politischen Werte mit ihr teile: Irgendwie logisch, wem ich die Stimme gebe – oder nicht? Nun kommt aber das grosse Aber: Ich würde nicht gegen meinen Willen in ein politisches Amt gewählt werden wollen. Und was ist Ihre Meinung zum Amtszwang?