Künstliche Intelligenz (KI)
26.05.2023 KolumneEs ist zum Verzweifeln. Was genau Künstliche Intelligenz bedeutet oder sein soll, das kann einem kaum jemand erklären. Beim Nachdenken darüber in der schlaflosen Nacht erinnert man sich höchstens an Goethes «Faust» und dessen Pakt mit dem Teufel. Doch viel weiter ...
Es ist zum Verzweifeln. Was genau Künstliche Intelligenz bedeutet oder sein soll, das kann einem kaum jemand erklären. Beim Nachdenken darüber in der schlaflosen Nacht erinnert man sich höchstens an Goethes «Faust» und dessen Pakt mit dem Teufel. Doch viel weiter hilft das auch nicht.
Wer dann am andern Morgen auf der Suche im «Etymologischen Wörterbuch des Deutschen» nach der Bedeutung dieses geradezu magisch gewordenen Begriffs sucht, dem wird nach und nach bewusst, auf welcher Zeitbombe wir da sitzen. Denn was Intelligenz bedeutet, wissen alle. Selbst die Dummen. Das Problem bei der Künstlichen Intelligenz liegt denn auch zunächst weniger in der Intelligenz an und für sich. Viel wichtiger ist das Adjektiv «künstlich». Es bedeutet nicht einfach nachgemacht oder auch unnatürlich, sondern zur Herstellung der KI wird unsere natürliche Intelligenz einfach kopiert. Damit sind wir bei der wichtigsten Frage überhaupt: Wer bitte schön, wer ist der geistige Eigentümer meiner menschlichen Intelligenz?
Selbst ohne Antwort auf diese Frage drängt sich schon die nächste auf: Wie und weshalb soll eine zufällige und simple Kopie humaner Intelligenz die Menschheit voranbringen? Medizinisch oder pharmakologisch gesprochen, handelt es sich bei der KI ohnehin nur um ein simples Generikum. Es ist meistens gleich gut wie das Original, nur billiger. Also: Billige Intelligenz wäre wohl als Fachausdruck zutreffender. Aber zugleich allzu billig.
In solchen Situationen kommt mir meistens Willi Ritschard (1918–1983) zu Hilfe. Er war Gemeindepräsident von Luterbach, Solothurner Kantonsrat, Regierungsrat sowie später Nationalrat und schloss dann seine politische Laufbahn als Bundesrat ab. Eines Tages gegen das Ende seiner Amtszeit als Bundesrat und Finanzminister sass er in seinem Büro oben am Konferenztisch. Dort fand jeweils zweimal in der Woche – nämlich vor und nach der Bundesratssitzung – ein Rapport statt. Um ihn herum sassen alle Amtsdirektoren, der Generalsekretär und die Stabsmitglieder – ein Dutzend Bundesbeamte. Die Frauen hatten erst gerade das Stimm- und Wahlrecht bekommen und hatten es noch nicht geschafft, mit an diesem schönen ovalen Tisch sitzen zu dürfen. Alles zu seiner Zeit, sagten wir unter uns damals am Tisch.
Selten dozierte einer der Direktoren – es war immer derselbe – länglich und eher unverständlich, welchen überzeugenden Antrag man der Landesregierung anlässlich der nächsten Bundesratssitzung unterbreiten sollte –, etwa einen Personalstopp. Willi Ritschard hatte den Direktor ohnehin auf dem Zahn. Der konnte es dem Departementschef einfach nicht recht machen. Trotzdem hatte dieser ihm zwar relativ aufmerksam zugehört. Aber als der Herr Direktor seine Ausführungen – wie damals in der Verwaltung üblich – mit dem Wort «Fertig!» schloss, wurde es einen Augenblick ganz still im grossen Büro. Wir wussten es schon: Die Mimik von Ritschard zeigte deutlich, was er von der Idee des Amtsdirektors hielt – gar nichts. Und wirklich: Von oben am Tisch sprach der Chef laut und deutlich: «Herr Diräkter, was dir da sägit u vorschlöit, isch so fausch, dass nid emou s Gägedöu richtig isch.» Das war natürlich krass und es kam auch – soviel ich mich erinnern mag – an diesem Tisch nur ganz selten vor. Der Direktor blieb nicht mehr allzu lange im Amt.
Hingegen schien mir damals schon die Erklärung eines Sachverhalts über ihr Gegenteil unter gewissen Umständen sehr hilfreich zu sein. Mit dieser Methode würde man heute argumentieren: Das Gegenteil von Künstlicher Intelligenz ist Natürliche Dummheit. Nach der Ritschard-Methode wäre demzufolge die KI schon mal falsch und somit auch die natürliche oder menschliche Dummheit. Unter dieser leidet ja ohnehin und jeden Tag die ganze Menschheit. Wenn wir es fertig bringen, mit unserer natürlichen der künstlichen Intelligenz den Garaus zu machen und damit erst noch die menschliche Dummheit zu eliminieren – dann haben wir global betrachtet einen riesengrossen Schritt getan. Und Willi Ritschard sollte dannzumal in Solothurn ein Denkmal erhalten mit der Inschrift: «Dänked dra: Nid emou s Gägedöu isch richtig.»
OSWALD SIGG
JOURNALIST, EHEMALIGER BUNDESRATSSPRECHER [email protected]