Gott soll allmächtig sein?
30.08.2024 Kirche«Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde», bekennen Christenmenschen. Leicht daher gesagt, leichtfertig sogar: Überall auf der Welt gibt es Katastrophen, Terror und Kriege, Krankheiten – ein allmächtiger Gott ...
«Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde», bekennen Christenmenschen. Leicht daher gesagt, leichtfertig sogar: Überall auf der Welt gibt es Katastrophen, Terror und Kriege, Krankheiten – ein allmächtiger Gott könnte da doch mal eingreifen?!
Wo kommt der Glaube an einen allmächtigen Gott her, wenn doch persönliche Erlebnisse und geschichtliche Ereignisse immer wieder vor Augen führen, dass Gott nicht eingreift? Ein allmächtiger Gott, der bewusst leiden lässt
– eine grausame Vorstellung, und scheinbar so gar nicht mit der Zusage eines liebenden Gottes vereinbar, der das Wohl der Menschen will.
Für viele hängt ihr ganzer Glaube von dieser einen Frage ab: Entweder hilft Gott, wenn ich ihn nur genug bitte – oder er hilft nicht und existiert damit auch nicht. Die Antworten von Theologen auf solche Anfragen von gläubigen Menschen bleiben seltsam blass und wirken ratlos. Vielleicht kommt man der Sache näher, wenn man nicht vom heutigen Allmachtsverständnis ausgeht, sondern überlegt, wie es zur Vorstellung von Gottes Allmächtigkeit überhaupt kam.
Fangen wir also vorne an: In der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament, werden Gottes Macht und sein Eingreifen zwar in vielen Erzählungen beschrieben, der Begriff Allmacht kommt allerdings nicht vor. Er taucht erst mit der Übersetzung der Glaubensinhalte in die griechische Sprache auf und hat seine Bedeutung dabei auch inhaltlich geändert.
In der Septuaginta, der rund 200 Jahre vor Jesu Geburt entstandenen Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, wird der hebräische Begriff «Zebaoth» mit dem griechischen Ausdruck «Pantokrator» wiedergegeben. «Zebaoth», der «Herr der Mächte» wurde so zum «Allherrscher», zum «Allmächtigen». Im Kontrast zu den Göttern in anderen Religionen und zur politischen Bedrängnis wurde Gott dadurch zum Allmächtigen, zum eigentlichen Herrscher der Welt erklärt.
Das macht deutlich, dass der Allmachtsbegriff vorsichtig zu bedenken ist. Diese Bezeichnung Gottes diente zunächst eher der Wesensbeschreibung Gottes. Hinter dem Begriff steht weniger der Glaube an Gottes absolute Macht, als vielmehr die glaubende Gewissheit, dass nicht die zerstörerischen Mächte dieser Welt das letzte Wort behalten, sondern Gott, «der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei» (Römer 4, 17).
Die Frage danach, wie ein liebender und allmächtiger Gott Menschen unverschuldet leiden lassen kann, ohne einzugreifen, geht also an den ursprünglichen Vorstellungen vorbei. Nicht lieblose Allmacht zeichnet Gott aus, sondern seine Liebe, die letztlich grösser ist als die Macht des Leidens.
Gott ist weder ein Tyrann, der uns durch ständiges Eingreifen unserer Freiheit beraubt, noch ein liebender Teddybärengott ohne Bedeutung. Er traut sich und den Menschen etwas zu. In Leiden und Sterben Jesu können Christenmenschen erkennen: Gott weiss, was Leiden bedeutet. Er leidet mit den Menschen mit.
Liebe bedeutet auch, dem anderen Freiheit und Raum für Entwicklung zu lassen, während pausenloses allmächtiges Eingreifen diese Freiheit zerstören würde.
Leiden und Böses gehören zu dieser Welt. Auf die Frage, warum Gott beides zulässt, könnte man auch mit einer Gegenfrage antworten: Warum lassen Menschen so viel Böses zu? Vielleicht könnte mach auch mit der politisch engagierten Theologin Dorothee Sölle sagen: «Gott hat keine anderen Hände als unsere.»
Die Freiheit, die er uns geschenkt hat, unser (Selbst-)Bewusstsein und unser Potenzial zum Lernen und zur Entwicklung können wir nur nutzen, wenn wir frei sind. Das schliesst auch den freien Umgang mit dem Bösen, mit Hilflosigkeit, Angst und Leid ein. Dennoch können Christenmenschen sicher sein, dass Gott ihnen darin nahe ist, dass er das Böse nicht will und es letztendlich überwinden wird.
Der Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer sagte: «Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.» Wenn Gottes direktes Eingreifen in den Lauf der Welt als Kriterium für seine Allmacht verstanden wird, dann ist Gott nicht allmächtig. Ohnmächtig ist er jedoch auch nicht, davon erzählt die Bibel. Gott entspricht nicht menschlichen Kategorien von mächtig oder ohnmächtig; er ist der, als der er sich erweisen wird – «Jahwe», der «Ich werde sein, der ich sein werde» (Genesis/2. Mose 3,14).
PETER KLOPFENSTEIN