Eine nicht ganz gewöhnliche Weihnachten
15.12.2025 LeserbeitragEs war ein richtig garstiger Dezembertag. Die Nebelschwaden und der bläuliche Rauch der Kamine zogen mit dem kalten Wind durch das Tal hinaus... es nieselte und ich rollte meinen Mantelkragen hoch und die Mütze so tief über die Stirn, dass ich fast nichts mehr sehen konnte und stapfte durch den Schnee. Langsam dämmerte es und die Bäume verwandelten sich in komische Gestalten, mich fröstelte und meine Schritte wurden schneller, soweit dies der tiefe Schnee zuliess. Ab und zu hörte ich ein Knacken im Gebüsch oder ein Vogel schreckte auf, als er meine Schritte auf dem knirschenden Schnee hörte. Am Waldrand huschte schnell ein Reh vorbei und versteckte sich im Dickicht. Bald war ich zu Hause und ich freute mich auf eine warme Stube und auf eine heiße Schokolade. Ja, ich hatte es gut, denn ich durfte ein Zuhause haben mit lieben Menschen um mich herum, genug zu essen, eine Arbeit, die mir Freude bereitete und es mangelte mir auch nicht an materiellen Dingen. Meine kleine Welt war recht in Ordnung und Dankbarkeit stieg hoch in mir. Als ich daheim angekommen war, klopfte ich vor der Haustüre den Schnee von meinen Schuhen und verschwand im Haus. Der feine Guetzliduft, der am Morgen gebackenen Spitzbuben und Zimtsterne hing noch in der Luft, als ich den feuchten Mantel im Flur über dem Radiator aufhängte. Ich betrat die warme, adventlich geschmückte Stube und mit meiner zubereiteten Tasse heißer Schoggi in der Hand, setzte ich mich aufs gemütliche Sofa. Da, plötzlich überkam mich eine Traurigkeit, eine Schwere, die ich im ersten Moment nicht einordnen konnte. In drei Tagen ist doch Weihnachten, eigentlich ein Freudenfest, ursprünglich das Fest, an dem man an die Geburt Jesu gedenkt, dachte ich. Aber vielen Menschen ist es nicht zum Weihnachten feiern. Da wohnt zum Beispiel in meiner Nähe ein älterer, alleinstehender Mann, in einfachen Verhältnissen. Er hat kaum das Nötigste zum Leben. Ein paar Häuser weiter lebt eine alleinerziehende Mutter mit kleinen Kindern und schmalem Portemonnaie. Dort wieder eine Witwe, die kürzlich ihren Mann verloren hat und hier in der Nachbarschaft wohnt ein junger, kranker, von Drogen gezeichneter Bursche. Ach, und eine Straße weiter unten lebt eine Familie, die von ihrem geliebten Land geflüchtet ist und hier noch weder die Sprache noch unsere Kultur kennt. Stellt man den Fernseher an, kommen auch viele Schreckensmeldungen von Kriegen und Terror, kurz und gut, von Weihnachten ist vielerorts keine Spur zu sehen. Dies alles machte mich traurig. Da kam mir plötzlich ein Gedanke, der meine Stimmung wieder aufhellen ließ. Wieso nicht unsere kleine und «normale Weihnachten» in unseren vier Wänden einmal mit andern teilen? Warum nicht einmal diesen alten, einsamen Mann, diese alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern, die Witwe und den jungen Burschen, der momentan sein Leben nicht ganz meistern konnte, und die Familie aus dem fremden Land mit den herzigen Buben, zu unserem Fest einladen? Ich überlegte hin und her und wollte später wissen, ob meine liebe Familie auch damit einverstanden und bereit wäre, einmal aus der Komfortzone herauszukommen und das Weihnachtsfest, das gute Essen und das Feiern, mit andern zu teilen. Kurz und gut, wir wollten alle, dieses Experiment wagen und das Fest der Liebe dieses Jahr mit Menschen, denen es nicht zum Feiern zumute war, zusammen verbringen. Gesagt, getan. Schnell kaufte ich noch mehr Salate, Kartoffeln und Getränke ein, denn erfreulicherweise hatten alle
Eingeladenen zugesagt und wollten gerne kommen. Meine Familie dachte sich für jeden Gast noch ein kleines, passendes Geschenk aus und packte es liebevoll ein. Alle Päcklein fanden auch ein Plätzchen unter dem schön geschmückten Weihnachtsbaum. Einen zusätzlichen Partytisch und zwei Bänke wurden aus dem Keller geholt, so dass dann wirklich jeder am Tisch ein hübsch gedecktes Plätzchen vorfand. Ein bisschen mulmig zumute war es mir zwar schon, trotz der Vorfreude, diesen Nachbarn ein wenig Weihnachtsfreude schenken zu dürfen. Ob sich dann auch wirklich alle wohlfühlen werden, habe ich mich gefragt. Ob es ihnen ein wenig weihnachtlich ums Herz werden dürfte und sie für einen Moment den schwierigen Alltag vergessen könnten? Würde man sich mit der Flüchtlingsfamilie verständigen können? Ein Stoßgebet zum Himmel hinauf ließ meine Zweifel und Bedenken verfliegen und ich wartete gespannt auf das erste Klingeln an der Haustüre. Die eingeladenen Gäste kamen und nahmen am gedeckten Tisch ihren Platz ein. Nach der anfänglichen Befangenheit beider Seiten löste sich langsam die Spannung und die Schüchternheit der einzelnen Personen und beim gemütlichen Racletteschmaus vertieften sich alle in rege Gespräche. Zum Glück konnte die Frau der Immigrantenfamilie ein wenig Englisch und ein paar Brocken Deutsch. Anschließend wurden die Kerzen am Baum entzündet und nach ein paar Liedern die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium aus der Bibel vorgelesen. Nach weiteren Liedern, bei denen die geladenen Gäste zuerst zuhörten und dann zaghaft auch miteinstimmten, und dem Schlussgebet, durfte jeder sein Päckli auspacken. Das feine Dessertbuffet durfte nicht fehlen und anschließend, als sich die Kinder angefreundet hatten, vertieften sie sich im Spielen miteinander. Die zufriedenen Gesichter und das Leuchten in ihren Augen habe ich bis heute nie vergessen. Bis tief in die Nacht hinein wurden Geschichten aus dem Leben ausgetauscht, zeitweise geweint und dann wieder gelacht. Zufrieden und glücklich durfte ich auf unser Experiment, einmal anders Weihnachten zu feiern, zurückschauen und dankte Gott dafür.

