Ein Wildschwein in der 60. Jagdsaison

  10.11.2022 Interview, Tradition, Saanenland, Natur

Arthur Brands 60. Jagdsaison hielt ein Wildschwein für ihn bereit. Im Interview berichtet er nicht nur von seiner borstigen Beute.

JENNY STERCHI

Herr Brand, zunächst einmal «Waidmannsheil» zum erlegten Wildschwein. Haben Sie auf Schwarzwild gewartet?
Waidmannsdank. Ich war losgegangen, um nach Rotwild und Rehen Ausschau zu halten. Mit einem Wildschwein hatte ich eigentlich nicht gerechnet.

Wo waren Sie unterwegs, als Sie dem Tier begegneten?
Ich war auf Stalden. Ich habe mir dort schon vor einiger Zeit einen heimeligen Ansitz eingerichtet, von dem aus ich wunderbare Sicht auf das Wild habe. Wie gesagt, ich wartete eigentlich auf Rehwild. Die Dämmerung hatte bereits begonnen, aber es war noch Büchsenlicht (Anm. d. Redaktion: Lichtverhältnisse, die den Jäger das Wildtier noch sicher erkennen lassen).

Hatten Sie dort schon vorher mal Wildschweine gesehen?
Die Tiere selber nicht. Aber sie hinterlassen mit zum Teil grossflächigem Gebräch deutlich sichtbare Spuren. Sowohl wir Jäger als auch die Landwirte selber beseitigten die Schäden, glätteten die aufgewühlten Böden jeweils wieder. In den letzten Jahren waren zwar vom Eggli und Meielsgrund bis Stalden immer wieder Landschäden zu entdecken. Aber die Wildschweine sind dennoch hier nicht heimisch. Man sagt auch, es ist kein Standwild.

Aber dann kamen sie doch vorbei.
Es waren zwei Wildschweine, die aus dem Wald traten. Ich sah ihnen erst einen Moment lang zu. Wildschweine sind lange im Jahr jagdbar. Ich brachte mich und das Gewehr in Position. Sie nahmen keine Notiz von mir. Der Keiler stand gut erkennbar zu mir. Dann schoss ich, und traf. Es war ein dreijähriger Keiler, 68 Kilogramm schwer.

Ein ganz schöner Brocken. Was haben Sie mit dem Tier gemacht?
Ich habe es zum Metzger gebracht, der es mir in Portionen zerlegt hat. Vorher habe ich das Fleisch noch von einem Labor auf Trichinen untersuchen lassen. Das ist eine Auflage, wenn man Wildschweinfleisch zum Verzehr nutzen möchte. Es ist nun unser Fleischvorrat für die kommenden Monate. Die Waffen des Keilers, die ich für sehr eindrücklich halte, habe ich präpariert. Sie hängen jetzt auf einem Schmuckbrettchen montiert an der Wand in der Stube.

Aber wenn die Wildschweine doch hier eher eine Seltenheit sind, sollten sie dann nicht lieber am Leben gelassen werden?
Auch wenn das Wildschwein in unserer Region nicht heimisch ist, kann es doch ziemlich grossen Schaden anrichten, nicht nur auf Weidewiesen. Auch vor Gärten macht es nicht halt. In den letzten Jahren ist in verschiedenen Regionen ein vermehrtes Wachstum der Wildschweinbestände zu beobachten. Sie gelten als sehr anpassungsfähig.

Werden Sie nochmals auf Wildschweinjagd gehen in dieser Saison?
Nein. Es ist heute in vielen Bereichen des Lebens oftmals eine gewisse Masslosigkeit bei den Menschen zu beobachten. Da bildet auch die Jagd keine Ausnahme. Ich bin sehr glücklich mit diesem Jagderfolg. Es sollte wohl so sein. Wäre eine Bache mit Frischlingen vor mir gestanden, hätte ich nicht schiessen dürfen.

Warum nicht?
Weil es unweidmännisch gewesen wäre und ich nicht zwangsweise zum Abschuss kommen muss. Es geht mir bei den Rehen ähnlich. Ich schiesse kein Kitz und wenn es mit der Geiss unterwegs ist, entscheide ich mich lieber fürs Beobachten als für den Schuss.

Wie lange jagen Sie schon?
Es ist das 60. Patent, das ich in diesem Herbst gelöst habe. Es ist wie eine Geschichte, die immer weiter erzählt wird. Als ich mein 50. Patent gelöst hatte, konnte ich einen kapitalen 12-Ender (Rotwildstier mit 12 Spitzen am Geweih) schiessen. Dazumal hatte ich meine Position auf einem Stein bezogen. Den Platz dort halte ich bis heute für besonders, ja fast magisch. Das bewegte mich vor zwei Jahren dazu, an dieser Stelle einen kleinen Ansitz am Boden einzurichten. Von dort aus schoss ich auch den Keiler.

Was bedeutet Ihnen die Jagd?
Natur ganz bewusst zu erleben. Das Wild durch das Jahr hindurch zu beobachten. Ich bin auch viel im Sommer mit dem Spiegel (Fernglas) unterwegs. In unserer Jagdgruppe können wir auf die Kameradschaft untereinander zählen. Ich jage nach dem Grundsatz, die Tiere schiessen zu dürfen, aber keinesfalls zu müssen.


KLEINES LEXIKON DES WILDSCHWEINS

Schwarzwild: Wildschweine in Jägersprache, auch Schwarzkittel oder Sauen genannt
Keiler: männliches Wildschwein
Bache: weibliches Wildschwein
Frischling: Jungtier
Gebräch/Gebrech:
1. aufgewühlter Boden, den Wildschweine bei der Suche nach Fressen hinterlassen
2. vorderer Kopfteil beim Wildschwein
Waffen: die Eckzähne des Keilers, wobei die unteren als Hauer, die oberen als Haderer bezeichnet werden
Rotte: Gruppe von Wildschweinen
Suhlen: das Wälzen in Schlammlöchern, dient der Wärmeregulation und Fellpflege
Malbaum: Baum in unmittelbarer Nähe zur Suhle, an dessen meist grober Rinde das schlammige Fell gescheuert wird
Übrigens: Wildschweine sind sehr gute Schwimmer.

JENNY STERCHI


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