Ein aus der Zeit gefallenes Massenlager im Luftschutzraum
19.01.2023 Saanenland, Serie, Tourismus, SaanenlandSie ist ein Relikt aus vergangenen Tagen: die Gruppenunterkunft des Restaurants Waldmatte im Chalberhöni. Eingebaut in den Luftschutzraum, weil man den Platz ja irgendwie nutzen musste. Seit die letzte Schulklasse das Lager verlassen hat, übernachten nur noch vereinzelt Gruppen ...
Sie ist ein Relikt aus vergangenen Tagen: die Gruppenunterkunft des Restaurants Waldmatte im Chalberhöni. Eingebaut in den Luftschutzraum, weil man den Platz ja irgendwie nutzen musste. Seit die letzte Schulklasse das Lager verlassen hat, übernachten nur noch vereinzelt Gruppen und Individualreisende mit einem Flair für Nostalgisches hier – wo die Uhren langsamer zu laufen scheinen.
KEREM S. MAURER
Das altehrwürdige Haus, in dem Ruth Aellen-Grundisch zusammen mit ihrem Ehemann Michael nicht nur Gäste des Restaurants Waldmatte, sondern auch Übernachtungsgäste empfängt, stammt aus dem Jahr 1795. Ruth Aellens Vater Gödi Grundisch kaufte das einst als Bauernhaus errichtete Gebäude in den frühen 1960er-Jahren und eröffnete 1963 ein Restaurant. Im Rahmen eines ersten Umbaus erweiterte er das Haus um ein Massenlager mit zwölf Plätzen inklusive Duschraum. 1974 wurde das Haus vergrössert, um es der wachsenden Familie anzupassen. Vier Jahre später nahm auf dem Gelände der Familie Grundisch der Sessellift Pra Cluen (heute Chalberhöni-les Gouilles) den Betrieb auf und lockte vor allem im Winter mehr Leute ins Tal. Um dem Ansturm der Wintergäste gerecht zu werden, erfolgte 1982 ein grosser Umbau mit der Auflage des Bundes, einen Luftschutzraum für die Talbevölkerung einzubauen. Dieser musste allzeit bereit sein und durfte nicht mit Gerümpel vollgestellt werden. So entstand die Idee für das Massenlager mit dreistöckigen Etagenbetten und 84 Matratzen. «Irgendwie mussten wir den Platz ja nutzen», schmunzelt Ruth Aellen. Anfangs wurde das Lager gelegentlich von der Armee genutzt.
«Die Gaststube war unser Wohnzimmer»
Mit der steigenden Nachfrage wurde es schwieriger, Landwirtschaft und Gastronomie noch unter einen Hut zu bringen, wie es Gödi Grundisch gemacht hatte. Also übernahm Ruth Aellen 2001 zusammen mit ihrem Mann das Restaurant inklusive Massenlager, Gästezimmer und Gaststube, während sich ihr Bruder Hansueli weiterhin um den Bauernbetrieb kümmerte, den er bereits zuvor bewirtschaftet hatte. Wenn man in der Waldmatte von «Gaststube» spricht, trifft das im wortwörtlichsten Sinn zu. «Ich bin in dieser Gaststube aufgewachsen, sie war quasi unser Wohnzimmer», erinnert sich die Gastgeberin. Und diesen Wohnzimmercharme versprüht die Gaststube bis heute: An den Wänden hängen lebensecht gemalte Ölbilder von Rehen, Gemsen und Füchsen, daneben weisen Hirschgeweih, Gems- und Rehbockhörner auf die Wildsaison hin. «Nein, wir sind keine Jäger, mein Mann schiesst nur mit der Kamera», erklärt Ruth Aellen lachend. Aus einer Ecke winkt ein ausgestopfter Marder, dazwischen verbreiten Wohnwandmöbel mit Büchern, Kinderfotos und Famlienspielen genau jenes familiäre Ambiente, welches die Gäste so sehr lieben. Dazu kommt, dass einige der Angestellten seit Jahren dieselben sind – die Gäste übrigens auch. So kommt es vor, dass Michael Aellen in der Küche oft anhand der zu kochenden Speisen weiss, welcher Gast gerade bestellt hat.
Praktisch, aber nicht mehr zeitgemäss
Die Unterkunft im Luftschutzraum sieht heute noch so aus, wie die klassischen Massenlager in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ausgesehen haben. Mit seinen dreigeschossigen Kajütenbetten aus graulackierten Stahlgestellen wirkt das Massenlager aus der Zeit gefallen. Grüne Matratzen, braune Wolldecken und blau-weisskarierte Kissenbezüge runden den Retrolook ab. Wer hier übernachtet, sollte eine Affinität für vergangene Epochen und einen Schlafsack mitbringen, sowie den Willen, auf Privatsphäre zu verzichten. Denn die Unterkunft ist in zwei Räume aufgeteilt – um in den hinteren Raum zu gelangen, muss man den vorderen durchqueren. Und vor den Räumen gibt es zwei Duschen mit Duschvorhängen, keine abschliessbaren Kabinen. Zweckmässig, aber nicht mehr zeitgemäss.
Wo die Uhren langsamer laufen
Früher sei regelmässig eine Schule aus dem solothurnischen Hägendorf hierher gekommen, erinnert sich die Gastgeberin. «Das waren jeweils 60 bis 70 Kinder. Dann war Leben in der Hütte!»
Das Duschen wollte organisiert sein. Und weil Jungs und Mädchen nur proforma voneinander getrennt waren, musste jeweils eine Leiterin bei den Mädchen und ein Leiter bei den Jungs übernachten. Verpflegt wurden alle natürlich in der Gaststube. «Im Wandel der Zeit wurde es zunehmend schwieriger, Schulklassen zu halten», blickt Ruth Aellen zurück. Das Skigebiet sei nicht unbedingt für Anfänger geeignet, und die Ansprüche der Eltern hätten sich verändert. Schliesslich empfanden sie es als nicht mehr zumutbar, ihre Kinder in einem Luftschutzraum schlafen zu lassen. «Auch von der finanziellen Seite her wurden Skilager schwieriger. Dazu gab es immer weniger skifahrende Schüler, was nicht zuletzt mit dem steigenden Anteil der Schulkinder mit Migrationshintergrund zu tun hat», betont sie. Heute wird das Massenlager nur noch vereinzelt von Vereinen, Gruppen und Einzelpersonen für Ski- oder Wanderwochenenden genutzt.
Während das Massenlager an Bedeutung verlor, stieg der Bedarf bei den drei Gästezimmern an. Vermietet werden diese hauptsächlich an langjährige Stammgäste, die früher als Kinder hier waren, dann als Erwachsene wiederkehrten und schliesslich mit ihren eigenen Kindern anreisten. So entstanden generationenübergreifende Bekanntschaften, oft sogar Freundschaften, die von den Kindern der Gastgeber ebenso weitergetragen werden wie von jenen der Gäste. Obschon sich die Welt rundherum immer schneller zu drehen scheint, läuft die Zeit in der Gaststube der Waldmatte irgendwie langsamer.
Ferienheime im Saanenland
1 Chalet Saanenwald, Hornbergstrasse, 3777 Saanenmöser
2 Tubegrabe-Stafel, Turbachstrasse 159, 3781 Turbach
3 Ferienlager Eggli, Oeyetliweg 26, 3792 Saanen
4 Gässlihof, Gässli 23, 3784 Feutersoey
5 Ferienheim Länggass, Simneweg 4, 3777 Saanenmöser
6 Ferienheim Region Fraubrunnen, Erliweg 5, 3778 Schönried
7 Clubhaus Rüeblihorn, Lätzgüetliweg 7, 3777 Saanenmöserr
8 Bümplizerhuus, Hornbergstrasse 25, 3777 Saanenmöser
9 Ferienheim Buebebärg, Hubelstrasse 83, 3778 Schönried
10 Clubhaus Spitz, Skiclub Weyermatt, Alte Saanenmöserstrasse 2, 3776 Oeschseited
11 Ferienheim Heitimatte, Campingstrasse 10, 3785 Gsteig
12 Ferienlager Gemeinde Lauenen, Kirchstrasse 21, 3780 Lauenen
13 Lovell Mountain Lodge, Hubelstrasse 88, 3778 Schönried
14 Münsinger Ferienheim, Zügelweg 4, 3777 Saanenmöser
15 Pfadfinderheim Kuonolf, Waldmatte 95, Schönried
16 Sport Lodge (Sportzentrum Gstaad AG), Sportzentrumstrasse 5, 3780 Gstaad
17 Solothurner Ferienheim, Bergmatteweg 21, 3777 Saanenmöser
18 Grupenunterkunft Waldmatte, Chalberhöni, Saanen
FERIENHEIME IM SAANENLAND
Rund 20 Ferienheime stehen mitunter an bester oder schönster Lage im Saanenland. Viele von ihnen sind im Besitz von auswärtigen Schulen oder Vereinen, andere sind seit Generationen im Besitz einheimischer Familien. Die meisten dieser Häuser wurden ursprünglich als Gruppenunterkünfte gebaut, andere dienten jedoch erst landwirtschaftlichen Zwecken, bevor sie in Herbergen umfunktioniert wurden. So unterschiedlich ihre Geschichten auch sind, eines haben sie gemeinsam: Wer einmal in einem Ferienlager im Saanenland gute Zeiten erlebt hat, kommt irgendwann wieder hierhin zurück. So sind Ferienheime mehr als nur Herbergen, sie sind Lebensschulen, Erinnerungsstätten und manchmal auch Sehnsuchtsorte. In loser Folge porträtieren wir einige von ihnen.
KEREM MAURER
RESTAURANT WALDMATTE
Von den total 84 Betten im Massenlager werden nur noch deren 30 angeboten, weil es sonst zu eng wird und es in Anbetracht der sanitären Anlagen nicht zumutbar wäre.
Gästezimmer:
einmal zwei Betten,
einmal drei Betten,
einmal vier Betten
30 Plätze im Massenlager