Bunte Blätter, stille Zeugen: Gedanken über Schöpfung und Menschlichkeit
25.10.2024 KircheIn den letzten Tagen haben die Bäume ihre ersten bunten Blätter bekommen. Golden oder in einem warmen rot leuchten sie in der Sonne. Diese Jahreszeit hat so manchen Dichter zum Schreiben von wunderschönen Gedichten inspiriert.
Ich denke auch, uns bringt diese Jahreszeit hie ...
In den letzten Tagen haben die Bäume ihre ersten bunten Blätter bekommen. Golden oder in einem warmen rot leuchten sie in der Sonne. Diese Jahreszeit hat so manchen Dichter zum Schreiben von wunderschönen Gedichten inspiriert.
Ich denke auch, uns bringt diese Jahreszeit hie und da zum Staunen. Und wir nehmen uns vielleicht einen Moment Zeit, uns auf einer Bank niederzulassen. Oder wir gehen auf eine Herbstwanderung. Der Himmel ist wie mit einem stahlblauen Tuch über die Berge und die Hügel gespannt. Die Felsen leuchten und ihre Spalten werden sichtbar, so als wären sie plötzlich ganz in unserer Nähe.
Ist es nicht so, als möchte uns die Natur selbst etwas erzählen von dem Schöpfer, der alles so weise geordnet hat? Gerade wie im Psalm 104 geschrieben steht? Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie ein Teppich; Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittichen des Windes.
Herr; wie sind deine Werke so gross und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.
Wenn wir ein wenig näher bei einem Baum stehen oder sitzen, hören wir vielleicht das leise Rascheln der Blätter, die sich ganz sachte von dem Baum lösen und auf die Erde tänzeln. Heben wir einmal ein paar solch schöne, goldene Blätter hoch. Zum Bespiel vom Ahornbaum, was sehen wir da? Ist nicht jedes Blatt ein Unikat? Ist doch auf jedem Blatt anderswo die Anordnung der schwarzen Flecken. Und doch gehörte jedes zum selben Baum. Kein Blatt hatte irgendwie eine höhere Funktion gehabt dort oben. Ist das nicht tröstlich für uns Menschen. Auch wir sind ganz verschieden geboren worden. In verschiedenen Familien aufgewachsen. Haben verschiedene Gaben. Die einen haben helle Haare, die anderen bekommen ganz dunkle. Weltweit haben die Menschen sogar verschiedene Hautfarben bekommen. Aber eines sei gewiss. Alle sind wir als Menschenkinder von einer Mutter geboren worden und haben Eltern. Einen Vater und eine Mutter. Und sind ganz bestimmt kein Zufallsprodukt. Sondern Gott hat einem jeden von uns den Atem eingehaucht. Dies auch jedem Tier, jedem Lebewesen. Schon allein dies verpflichtet uns, jedem Geschöpf. wie gross es auch ist, mit Respekt zu begegnen.
Auch wenn wir viele Menschen auf Erden sind. Jede und jeden von uns gibt es nur einmal. Wenn wir jetzt zurück zum Ahornbaum gehen und ein wenig hinauf schauen, stellen wir fest, dass es viele hundert Blätter an den Ästen hat. Vielleicht müssen Sie jetzt ein wenig lächeln, wenn ich schreibe: «Jedes einzelne Blatt hat von Gott Vater seinen von ihm bestimmten Ort am Baum bekommen.» Meine Gedanken schweifen über die Berge jetzt weiter bis ans Mittelmeer. Wie ist es mit den jungen Menschen auf den Flüchtlingsbooten? Sind sie auch ein Blatt am Menschenbaum gewesen? Schlepper haben skrupellos die Not dieser Menschen ausgenutzt. Frauen, Kinder und Jugendliche waren auf der Suche nach einem besseren Leben. Man erinnere sich an Lampedusa, als 2013 ein Boot kenterte. Viele Menschen sind damals ertrunken. Ihre Leichen mussten ohne Namen beerdigt werden.
Dies hat Cristina Cattaneo, eine Gerichtsmedizin-Professorin in Mailand, zutiefst beschäftigt. Zusammen mit einem Team von Spezialistinnen und Spezialisten der Rechtsmedizin, Zahntechnik, Biologie, Anthropologie und Archäologie und dem IKRK hat sie begonnen, nach der Identität dieser Menschen zu suchen. In einem kleinen Buch mit dem Titel «Namen statt Nummern» erzählt Cristina Cattaneo, wie die Angehörigen überaus dankbar waren, endlich zu wissen, wo der Sohn, die Tochter, der Bruder, die Schwester, der Ehemann oder die Ehefrau ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Kleine Gegenstände wurden stille Zeugen. Zum Beispiel in einer Hosentasche einer männlichen Leiche: ein Schlüssel mit zwei Kreuzen, darunter ein koptisches Kreuz. Ein Zeichen, dass der Junge aus Eritrea oder Äthiopien war. Oft wurde bei den Jugendlichen in einem wasserfesten Säcklein Erde gefunden. War es Heimaterde? Hatte eine Mutter oder eine Grossmutter ihm diese Erde mitgegeben?
Ein jedes Blatt am Baum ist von Gott Vater gezählt. Waren nicht auch diese Verstorbenen gezählt?
Catarina Cattaneo hat mit ihrem Team innerhalb von sechs Jahren 38 Menschen identifizieren können. Das heisst, auf den Gräbern wurden ihre Namen angebracht. Dazu schrieb Catarina Cattaneo: «Es klingt nach nichts. Ein Tropfen im Meer. Es bedeutet alles.»
Wenn ich diese Geschichte lese, denke ich an Jesus Christus. Auch er konnte nicht alle Menschen heilen. Er hatte dazu gar nicht genug Zeit. Aber immer wieder lesen wir, dass Jesus sich zu den Kranken und Ausgestossenen gesellt hat. Er gab ihnen Kraft, weiter zu gehen.
Im Psalm 104 in den Versen 27 und 28 lesen wir: Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt.
Auch wir durften in diesem Jahr wieder sammeln und dürfen uns jeden Tag satt essen. Es gab eine gute Heuernte. In den Gärten sind verschiedene Gemüse gewachsen. Auch wenn es in diesem Jahr etwas weniger Früchte an den Bäumen hat, so sind wir doch alle dankbar für den Segen, mit dem wir für unseren Fleiss beschenkt werden.
Leider wurde auch unser Land von einem oder mehreren Unwettern heimgesucht. Familien haben ihr Zuhause verloren. Sie waren von einer Stunde zur anderen schutzlos dem Unwetter ausgesetzt. Es wäre vermessen, mit wenigen Worten Trost zu spenden. Wie ein Feind können Naturgewalten für Mensch und Tier werden. Weltweit ist die Erde bedroht. Möge Gott uns Menschen die Weisheit schenken, mit allem sorgsam umzugehen. Ihm, dem Schöpfer zu Ehren und uns zu einem würdigen Leben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen liebe Leserinnen und Leser noch ein paar schöne und bunte Herbsttage.
KIRCHGEMEINDE LAUENEN
HILDE TEUSCHER