Beatrice Villiger gibt das «singende Holz» weiter
14.10.2024 NachbarschaftAm Auftaktkonzert des Festivals Le Bois qui Chante am Samstagabend trat die künstlerische Leiterin Beatrice Villiger als Sopranistin auf – Seite an Seite mit ihrer Nachfolgerin Valentina Rebaudo an der Klarinette.
SONJA WOLF
Die Stimmung hätte nicht ...
Am Auftaktkonzert des Festivals Le Bois qui Chante am Samstagabend trat die künstlerische Leiterin Beatrice Villiger als Sopranistin auf – Seite an Seite mit ihrer Nachfolgerin Valentina Rebaudo an der Klarinette.
SONJA WOLF
Die Stimmung hätte nicht fröhlicher sein können: Eine gut gelaunte künstlerische Leiterin, die Scherze macht und strahlt, Seite an Seite mit der künftigen künstlerischen Leiterin, die anfangs noch ein klein wenig nervös wirkt, aber gegen Ende auch strahlt und ganz aus sich herauskommt. «Ich übergebe ein gesundes Baby, ein schönes Baby, das mir wahnsinnig wichtig ist», sagt Beatrice Villiger nach dem Konzert. Sie leitet das Festival des «singenden Holzes» bereits seit zwölf Jahren und vertraut es nach dieser Saison der Klarinettistin Valentina Rebaudo an. Warum sie aufhört? «Bekanntlich soll man ja aufhören, wenn es am schönsten ist!», sagt die Sopranistin gut gelaunt. So viel Leidenschaft und «Füür» hat sie in das Festival und die Ausarbeitung der vielseitigen und immer wieder überraschenden Programme gesteckt, das dürfe auf keinen Fall durch zu viele Jahre in der Leitung abflauen. «Also habe ich eine Person gesucht, die musikalisch gute Programme zusammenstellt, die den Geist hat, auch mal etwas Aussergewöhnliches zu machen, nicht nur das Standardprogramm», definiert Villiger und sei so auf ihre Mitkünstlerin und Freundin Valentina Rebaudo gekommen. Auch habe die Klarinettistin, die am Konservatorium von Lausanne unterrichte, das entsprechende Netzwerk und vor allem auch «die menschliche Seite», mit der es mit den Menschen der Region gut klappen sollte.
Italienische Oper, romantische Sage und katalanisches Friedenslied
Und das bewiesen die Protagonisten zunächst einmal bei einem beeindruckenden Festivaldebüt: Beatrice Villiger brillierte mit ihrer kräftigen und zugleich samtigen Sopranstimme. Begleitet wurde sie vom «Duo Rusalka», bestehend aus den beiden Italienerinnen Valentina Rebaudo an der Klarinette und Irene Puccia am Klavier. Die beiden Musikerinnen, die sich durch das Unterrichten am Konservatorium Lausanne kennen, wussten das Publikum auch in eigenen Instrumentalstücken zu begeistern.
Der erste Abend des Festivals begann und endete mit Teilen aus Mozarts Oper «La Clemenza di Tito» und entführte die Zuschauer im Verlauf des Konzerts tief in die Epoche der Romantik – mit Clara und Robert Schumann oder Ludwig Spohr. «Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin...» Villiger stimmte da etwa die Zeilen von Heinrich Heines Gedicht über die Loreley an, welche gemäss der Sage durch ihren Gesang und ihr goldenes Haar am Untergang so einiger Rheinschiffe schuld sein soll. Zeilen, die wohl bei dem einen oder anderen deutschsprachigen Zuschauer Erinnerungen an die Schulzeit hervorriefen.
In einen komplett anderen Kulturkreis entführte das «Duo Rusalka» die Zuschauer mit Pao Casals. Der spanische Cellist Casals, der sich unermüdlich für Frieden, Demokratie und Freiheit einsetzte, ging mit dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs ins Exil nach Prades in Frankreich, wie Valentina Rebaudo einleitend zum Friedenslied «El cant dels ocells» (Das Lied der Vögel) erklärte.
Kleine unkonventionelle Überraschungen
Direkt im Anschluss an das sehr kurze, nur dreiminütige Friedenslied erwartete das Publikum eher einen zweiten Satz oder eine Fortsetzung des «Cant dels Ocells», wurde aber durch die Stimme von Beatrice Villiger überrascht, die vom Chorraum hinter den Kulissen ertönte und sich langsam aus dem Hintergrund der Bühne näherte. Nahtlos ging das spanische Friedenslied in einen traditionellen Jodelgesang über. Villiger interpretierte «Ds Bärgbächli» von Adolf Stähli, das im Programm nicht angekündigt war. Nun – genau das ist es ja, was das Publikum all die Jahre an der künstlerischen Leitung von Beatrice Villiger geschätzt hat und was mit Valentina Rebaudo eine Fortsetzung verspricht: die Vielfalt von Stilrichtungen, Epochen, Gesang und Instrumenten, kombiniert mit der einen oder anderen unkonventionellen Überraschung.
DAS FESTIVAL LE BOIS QUI CHANTE
Le Bois qui Chante ist «ein etabliertes Festival, das gerne überrascht!», wie auf der Internetseite des Festivals zu lesen ist. Die erste Ausgabe wurde 2001 ins Leben gerufen, nachdem Musikliebhaber aus dem Pays-d’Enhaut den Wunsch geäussert hatten, die Region in einer ruhigeren Phase der Saison zu beleben. Das Klangholz, das man im Wald oberhalb von Rougemont findet (Holz, aus dem die Saiteninstrumente hergestellt werden), gab dem Festival Le Bois qui Chante seinen Namen.
«In einer herzlichen und geselligen Atmosphäre ist das Programm abwechslungsreich und manchmal überraschend und lädt das Publikum ein, unerwartete Ensembles oder kleine musikalische Meisterwerke zu entdecken, die viel zu selten gespielt werden. Renommierte Musiker teilen sich das Programm mit den Ensembles von morgen», schreiben die Organisatoren.
Dieses Jahr bot und bietet das Festival dank der Zusammenarbeit mit dem Regionalen Naturpark Gruyère Pays-d'Enhaut ein Programm über das Pays-d'Enhaut hinaus. Im Rahmen dieser Kooperation mit dem Titel «Les Mois qui chantent» (Die singenden Monate) gab es in jeder der vier Regionen des Parks Veranstaltungen – also neben dem Pays-d’Enhaut auch in Montreux, im Intyamon, in Jaun oder in der Kirche von Abländschen.
LE BOIS QUI CHANTE/SWO
BEATRICE VILLIGER IM INTERVIEW
«Ich möchte auch anderen Projekten mehr Zeit geben»
SONJA WOLF
Dies ist nach zwölf Jahren Einsatz Ihr letztes Festival. Wie fühlen Sie sich?
Gut! Ich geniesse diese letzte Ausgabe und habe mit Valentina Rebaudo ja die perfekte Nachfolgerin gefunden. Sie wird es super machen. Von der menschlichen, aber auch von der künstlerischen Seite her. Auch sie wird ein bisschen andere Projekte auf die Beine stellen...
Woher kennen Sie Valentina Rebaudo?
Ich kenne sie schon seit 15 Jahren. Sie hat früher schon am Bois qui Chante teilgenommen, ausserdem haben wir in der Formation «Opera Viva» zusammen gespielt und auch sonst immer wieder miteinander zu tun gehabt. Inzwischen sind wir gute Freundinnen.
Warum genau hören Sie auf?
Ich habe die Leitung nun zwölf Jahre innegehabt und mit sehr viel Leidenschaft die Programme gemacht. Doch bereits im letzten Jahr merkte ich, dass es ein bisschen viel wird. Ich möchte meine Energie auch anderweitig einsetzen und auch anderen Projekten mehr Zeit geben.
Welchen zum Beispiel?
Oh, ich habe immer ganz viele Projekte im Kopf, die Ideen werden mir nicht fehlen! (Lacht.) Aber ich werde nicht wieder irgendwo die künstlerische Leitung übernehmen. Ich mache erst einmal normal weiter mit dem Musikunterricht in der Musikschule Saanenland-Obersimmental und werde mich wahrscheinlich stärker auf meine Therapie- und Ausbildungsangebote mit den Klangschalen konzentrieren.
Was war Ihnen wichtig in all den Jahren der Festivalleitung?
Mir war immer wichtig, dass es eine grosse Vielfalt gibt: Streichinstrumente, die traditionelle «ballade en forêt», das Orchesterwochenende, die Ausgeglichenheit zwischen jungen und sehr erfahrenen Musikern und auch die verschiedenen Instrumente, auch abseits der Holzinstrumente. Dieses Mal zum Beispiel freue ich mich sehr auf das Abschlusskonzert mit der Brass Band. Das wird sicher sehr cool!
VALENTINA REBAUDO IM INTERVIEW
«Es ist eine grosse Challenge»
SONJA WOLF
Sind Sie froh, das Festival ab nächstem Jahr zu leiten?
Ja, sehr, sehr froh. Die Leitung des Festivals liegt mir wirklich am Herzen. Es ist nicht nur ein Festival mit einem grossen Renommee für die Kammermusik, sondern auch ein Festival, wo die menschliche Seite sehr wichtig ist. Man sieht das am Publikum, an den vielen freiwilligen Helfern und auch an der künstlerischen Leiterin Beatrice. Es sind alles Herzensmenschen. Es ist eine grosse Challenge für mich, und ich werde all diese fantastischen Leute nicht enttäuschen.
Kannten Sie die Region bereits?
Nein, aber ich habe schon angefangen, öfter hierher zu kommen. Ich war schon am «Festival des Ballons» im letzten Januar oder jetzt gerade auf der «Chasses aux Citrouilles» (Kürbisjagd) mit meiner Tochter.
Haben sie schon Inspirationen für die nächste Ausgabe?
In der Tat, ja! Es wird viele Überraschungen geben, zum Beispiel ein Kinderkonzert für die Allerkleinsten, also die Babys und Kinder zwischen einem und fünf Jahren.