Ein Dorf kämpft ums Überleben
19.10.2023 AbländschenSeit der Jahrtausendwende sind in Abländschen Dorfladen, Post, Postauto, Skilifte und die Schule geschlossen worden. Nach und nach gingen im abgelegensten Saaner Weiler die Lichter aus. Sorgen jetzt neue Projekte für eine Trendwende?
BERICHT: KEREM S. MAURER / ...
Seit der Jahrtausendwende sind in Abländschen Dorfladen, Post, Postauto, Skilifte und die Schule geschlossen worden. Nach und nach gingen im abgelegensten Saaner Weiler die Lichter aus. Sorgen jetzt neue Projekte für eine Trendwende?
BERICHT: KEREM S. MAURER / VISUALISIERUNGEN: SUSANNE KAISER
Vor acht Jahren konnte man im «Berner Oberländer» lesen, dass in Abländschen nach und nach die Lichter ausgingen. Sechs Jahre später bezeichnete das Gastromagazin «Salz & Pfeffer» Abländschen als den «abderweltesten Weiler der Gemeinde Saanen». Seitdem hat sich einiges getan, verschiedene Projekte wurden erfolgreich umgesetzt. So fuhr in diesem Jahr erstmals ein E-Postauto fahrplanmässig von Saanen über den Mittelberg nach Abländschen und Jaun; in der Kirche Abländschen fanden im Rahmen des Gstaad Menuhin Festivals drei Konzerte statt; die Stiftung Prospectus Mons, die sich für neue Perspektiven in Bergdörfern einsetzt, ist in Abländschen aktiv geworden und auf dem Mittelberg steht ein nachhaltiges Toilettenhäuschen. Wie wirken sich diese Projekte aus? und auf dem Mittelberg steht ein nachhaltiges Toilettenhäuschen. Wie wirken sich diese Projekte aus?
MEHR GÄSTE DANK E-POSTAUTO
Nachdem sich die 38 Einwohnerinnen und Einwohner von Abländschen an ihrem Zukunftsworkshop eine regelmässige Verkehrsanbindung an Saanen und Jaun gewünscht hatten, nahm diese am 10. Juni offiziell den Betrieb auf und bringt Gäste ins Tal. «Uns hat es natürlich sehr gefreut, dass es wieder einmal etwas Neues gibt in Abländschen. In den letzten 20 Jahren ist viel verloren gegangen», sagt Simon Dänzer, der mit seiner Frau Heidi seit 2020 das Restaurant Zitbödeli führt und besitzt. «Ich bin oft nach einer Busverbindung gefragt worden und habe manchmal selbst Gäste von und nach Jaun chauffiert», erzählt Dänzer. Die Postautoverbindung ist auch für Clà Frei, Gastgeber im Berghotel Zur Sau, ein grosser Pluspunkt. «Wanderer, Kletterer, Gourmets und Senioren nutzen das Angebot gleichermassen. Davon profitiert auch das Berghotel», sagt Frei. Hanspeter Dänzer, Präsident der Dorforganisation Abländschen, nennt noch andere Vorteile. Er hofft, dass Gäste mit dem Bus statt mit dem eigenen Auto anreisten, was weniger Verkehr bedeute, und: «Mit dem Bus können auch Leute kommen, die selbst nicht mobil sind.» Trotz aller Freude wird bedauert, dass im E-Bus keine Fahrräder mitgeführt werden konnten und der Fahrplan nicht besser auf andere öffentliche Verkehrsmittel abgestimmt war.
MENUHIN FESTIVAL BRACHTE BESUCHER NACH ABLÄNDSCHEN
Erstmals in der über 60-jährigen Geschichte des Gstaad Menuhin Festivals fanden im Kirchlein von Abländschen drei Konzerte statt. Zu einem grossen Teil finanziert von der Stiftung Prospectus Mons. Stiftungspräsident Hans Peter Reust zeigt sich vom Erfolg der Konzerte begeistert. «Wir zählten 54 Besuchende in der Kirche von Abländschen mit 38 Einwohnern. Rechnet man das auf Saaner Verhältnisse hoch, müssten dort 5000 Menschen ein Konzert besuchen. Das ist ein gewaltiger Erfolg für Abländschen!», rechnet Reust vor. Auch die beiden abländschner Gastronomiebetriebe freuten sich über mehr Gäste im Zusammenhang mit den Konzerten. «Natürlich war es für uns als Initianten – zusammen mit Prospectus Mons – das Ziel, Kulinarik und Kultur zu vereinen», betont Clà Frei. Und Simon Dänzer konnte in seinem Betrieb Gäste begrüssen, «die noch nie in Abländschen und teils von sehr weit hergekommen waren». Laut ihrem Präsidenten würde es die Dorforganisation begrüssen, wenn es auch im nächsten Jahr Konzerte des Gstaad Menuhin Festivals in Abländschen gäbe. «Was ich in der Bevölkerung über diese Konzerte gehört habe, war sehr positiv», sagt Hanspeter Dänzer. Er ist überzeugt, dass in diesem Zusammenhang auch «eine andere Schicht» auf Abländschen aufmerksam werde und in ihren Kreisen dafür Werbung mache. Ob auch im kommenden Jahr wieder Konzerte in Abländschen gegeben werden, ist allerdings noch nicht entschieden. «Wir sind noch am Analysieren der Konzerte in Abländschen und Gespräche mit unseren Partnern vor Ort stehen noch an», sagt Christoph Müller, Artistic Director des Gstaad Menuhin Festivals, auf Anfrage. Und er betont: «Wir haben die Projekte in Abländschen gerne durchgeführt, möchten aber vor einer Weiterführung analysieren, wie sich das Projekt in den Gesamtkontext einfügt.»
GREIFT DIE ENTWICKLUNGSHILFE?
Die Stiftung Prospectus Mons, die Perspektiven in Bergdörfer schaffen und die lokale Wertschöpfung erhöhen will, blickt zufrieden auf die Entwicklung in Abländschen. «Die erste Phase ist auf solidem Grund gebaut, jetzt ist es wichtig, dass die fünf Räder – Landwirtschaft, Tourismus, die Märkte, Gastronomie und die Gemeinde – wie geschmierte Zahnräder ineinandergreifen und rund drehen», erklärt Hans Peter Reust. Nur wenn alle zusammenarbeiten, entstehe Gutes. Was braucht es denn, um die Entwicklung in Abländschen weiter voranzutreiben? «Neue, innovative Produkte, die eng mit Abländschen verbunden sind und die man in die Märkte bringen kann», sagt Reust. Es werde Fleisch, Geflügel, Kolonialwaren, Enzianschnaps, Getreide und vieles mehr in Abländschen produziert. «Vielleicht wäre es denkbar, auch Forellen aus Abländschen zu haben?», sinniert er. Wasser und Platz für ein Aufzuchtbecken wären vorhanden.
NACHHALTIGE, ÖFFENTLICHE TOILETTEN
Auch in Abländschen braucht es öffentliche Toiletten. Aber bitte solche, die in das nachhaltige Konzept von Gstaad Saanenland Tourismus (GST) passen. Und genau dem haben die herkömmlichen Kompotois nicht entsprochen. Kompotois sind nichts anderes als mit Holzspänen gefüllte Eimer, in die Homo Sapiens sein Geschäft macht. Und weil dadurch menschliche Ausscheidungen mit Holzspänen vermischt werden, darf man diese Überreste nicht in der ARA entsorgen. Jan Brand, Leiter Infrastrukturen und Projekte bei GST erklärt: «Die Hinterlassenschaften mussten mit Lastwagen nach Fribourg transportiert werden. Das war mit unseren Anforderungen nicht vereinbar.» Die neue Lösung heisst Kazuba. Das seien nachhaltige Toiletten, die absolut ohne Zusatz auskämen, erklärt Brand. «Die funktionieren nur mit Wind und Sonne. 90 Prozent unserer Exkremente verdunsten, der Rest landet in einer Sickergrube, die einmal jährlich von einem Lastwagen ausgepumpt wird und anschliessend wird dieser Rest in der ARA entsorgt.» Und weil das Konzept dieser Toilettenhäuschen derart nachhaltig ist, habe man das erste Ende Mai diesen Jahres auf dem Mittelberg installiert. Die Reaktionen darauf seien sehr positiv, darin sind sich die befragten Abländschner einig. Und das Gute ist, man muss sich gar nicht erst an die Kazubas, die aussehen wie Saunen für Singles, gewöhnen. «In der ersten Auflage mussten wir das Design des Anbieters nehmen. Ab der zweiten Auflage dürfen wir designmässig eingreifen. Dann gibt es öffentliche Toiletten, die Gstaad-like sind: Die sehen dann aus wie kleine Chalets», verspricht Jan Brand.
WAS KANN MAN EIGENTLICH IN MACHEN?
Kommt man mit dem E-Bus nach Abländschen, bleiben einem einige Stunden, bis der Bus wieder zurückfährt. Was soll man in dieser Zeit machen? In dieser Frage herrscht Einigkeit: Man soll in einem der beiden Restaurants einkehren, das hübsche Kirchlein besuchen und einen Spaziergang durch das pittoreske Dorf machen. Und dann? Simon Dänzer empfiehlt ausserdem entweder die Grillstelle im Schwand oder im Winter eine kleine Rundwanderung mit den Schneeschuhen auf dem vorgespurten Trail. Clà Frei empfiehlt einen Spaziergang ins Herrenschwändli zu Werner Dänzers Bienenvolk, den Besuch der Grubenberghütte oder einen Alpbesuch bei Hanspeter Dänzer auf der Fideritschi, wo man von Juli bis September Duroc-Säuli bestaunen kann. Offenbar fruchten die verschiedenen Projekte. Mehr und mehr finden neue Gäste den Weg in den «abderweltesten» Weiler von Saanen und es scheint, als gingen nach und nach in Abländschen die Lichter wieder an.