RANDNOTIZ
02.05.2025 KolumneNicht wirklich schön, aber irgendwie ganz süss
KEREM S. MAURER
Irgendeines schönen Tages im vorletzten Frühling erblickte ich in meinem Biotop unter der Wasseroberfläche einen etwa drei Zentimeter langen, braunen Käfer, der meinem ...
Nicht wirklich schön, aber irgendwie ganz süss
KEREM S. MAURER
Irgendeines schönen Tages im vorletzten Frühling erblickte ich in meinem Biotop unter der Wasseroberfläche einen etwa drei Zentimeter langen, braunen Käfer, der meinem Empfinden nach verzweifelt um sein Leben strampelte. Sofort ergriff ich als Retter in des Käfers höchster Not das Fangnetzchen, mit dem ich normalerweise – einem Poolreiniger ähnlich – Laub aus dem Teich entferne, und fischte den Ertrinkenden schwungvoll aus dem Wasser. Meinem neugierigen Naturell entsprechend wollte ich wissen, wen oder was ich eben vor dem nassen Tod bewahrt hatte. Doch statt sich zu freuen, weil er den todbringenden Fluten entrissen wurde, machte der Käfer an der frischen Luft einen eher jämmerlichen Eindruck. Seine Bewegungen wurden stetig langsamer und er schien unter meinen rettenden Händen wegzusterben.
Mich beschlich das ungute Gefühl, dass der braune Käfer unter Wasser besser «zwäg» war als darüber und tauchte ihn kurzerhand wieder ins Wasser. Augenblicklich begann er, wie neugeboren zu zappeln, krabbelte unternehmungslustig aus dem Fangnetz hinaus und beeilte sich, in tiefere Gefilde des Biotops abzutauchen. Aber halt! So nicht! Um sein Abtauchen zu verhindern, ergriff ich eiligst einen abgeknickten Forsythienzweig, entschuldigte mich beim Käfer in aller Form für mein ungebührliches Verhalten – und beförderte ihn wieder an die Wasseroberfläche zurück. Rasch schoss ich einige Fotos von ihm, bevor ich ihn in die freie Wildnis des Biotops entliess und ihm nachschaute, wie er schleunigst dem schützenden Grund zustrebte und sich unter Seerosenblättern verkroch.
Nach intensiver Online-Recherche hatte ich den braunen Tauchkäfer als Libellenlarve identifiziert, die – glaubt man den Expertenmeinungen im Internet – sofort zu vernichten sei, weil sie alles, aber auch wirklich gar alles, was sonst noch im Biotop lebt, gierig auffresse. Mich erfasste eine stille Wehmut, als mir in diesem Zusammenhang mein einstiger Wasserläufer Chesus in den Sinn kam.
Nach eingehender Betrachtung der fotografierten Libellenlarve kam ich zum Schluss, dass diese braunen Käfer nicht wirklich hübsch aussehen. Dennoch ertappe ich mich seit dieser Begebenheit immer wieder beim angestrengt Ins-Wasser-Schauen, in der Hoffnung, dass es diesen braunen Kerlchen gut geht. Vor allem nach dem letzten Winter befürchtete ich, sie könnten nicht überlebt haben. Doch sie haben sich tapfer gehalten und tauchen immer noch schleunigst ab, wenn ich ihnen mit einem Forsythienzweig zuwinke.
Die meisten Libellen verbringen den grössten Teil ihres Lebens unter Wasser, manche Arten gar mehrere Jahre, bis sie schlüpfen und sich als wunderschöne Libellen in die Lüfte erheben. Ein Schauspiel, das ich mir nicht entgehen lassen will, nur weil einige Experten der Ansicht sind, dass die braunen Käfer, die zwar nicht wirklich schön, aber auf ihre Art doch eigentlich ganz süss sind, vernichtet werden sollten.