Gemeinderat Gsteig: «Die Zeit drängt»

  29.09.2023 Gsteig

Offener Brief der Gemeinde Gsteig an die Gesundheit Simme Saane AG (GSS)

Sehr geehrte Damen und Herren
Zugegeben, es ist ein ungewöhnlicher Schritt, in einem offenen Brief mit einer Forderung an Sie zu gelangen. Stellvertretend für die Bevölkerung des Obersimmentals und Saanenlands erachten wir uns aber dazu als legitimiert.

Einleitend fassen wir stichwortartig die aktuelle Situation zum Projekt «Integriertes Gesundheitsnetz Simme Saane» zusammen:
– Wegen ablehnendem Abstimmungsergebnis in Gsteig ist die Vorlage für den Aufbau, die Entwicklung und den Betrieb eines integrierten Gesundheitsnetzes Simme Saane mit einem Akutspital gescheitert.
– Die sechs zustimmenden Gemeinden planen eine neue Abstimmung mit unverändertem Projekt, aber neuem Kostenverteilschlüssel.
– In Gsteig ist mit 94 Unterschriften eine Initiative für eine Wiedererwägung des Gemeindeversammlungsbeschlusses vom 25. August 2023 eingereicht worden.
– Es herrscht grosse Verunsicherung beim Personal von Spital und Alterswohnen.
– Nicht wenige Menschen – darunter Fachleute – zweifeln am Erfolg des GSS-Projekts.
Die Gesundheit Simme Saane AG (GSS) ist überzeugt vom Erfolg ihres erarbeiteten Projekts. Indem der Gemeinderat von Gsteig ebenfalls intensiv die von Ihnen erhaltenen Zahlen des Businessplans analysiert hat und auch nicht beeinflussbare Faktoren wie Fachkräftemangel, Veränderungen in der bernischen Spitallandschaft und in medizinischen Abläufen sowie dem zunehmenden Wandel von ursprünglich stationären Spitalaufenthalten zu ambulanten Eingriffen in seine Beurteilung einfliessen liess, glaubt er nicht an eine erfolgreiche Umsetzung des Projekts.

Allerdings war eine alles umfassende Überprüfung nicht möglich, weil der sogenannte, am 8. August 2023 um 18 Uhr erstmals per E-Mail übermittelte «Bericht zum Businessplan» leider erst sehr spät zur Verfügung gestellt wurde und nach unserem Empfinden auch nicht vollständig war (um 19 Uhr desselben Abends fand in der Simmental Arena in Zweisimmen im Hinblick auf die Gemeindeabstimmungen vom 25. August ein Informationsanlass statt …) Laut unseren Informationen wurde der komplette Businessplan bis dato niemandem ausgehändigt. Es wurde von der GSS stets nur angeboten, diesen nach Bedarf mündlich zu erläutern.

Wir wollen niemanden mit unserer Skepsis zu einer Ablehnung des Projekts bewegen. Es ist aber unser Anspruch, der Bevölkerung zu ihrem Recht auf umfassende Information zu verhelfen. Es ist die Bevölkerung, die Ihnen, geschätzte Damen und Herren, in Konsultativabstimmungen mit klarer Mehrheit den Auftrag für die Entwicklung eines integrierten Gesundheitsversorgungsmodells unter einem Dach erteilt hat, welches auch ein Angebot stationärer Spitalleistungen zu umfassen hat. Diesen Auftrag haben Sie mit grossem Aufwand und Engagement erfüllt. Dafür danken wir Ihnen.

Die Steuerzahler haben diese Arbeit bezahlt und nun auch das Recht, das präsentierte Ergebnis professionell überprüfen zu lassen. Dies ist vergleichbar mit einer Offerte einer Unternehmung für beispielsweise den Bau eines Einfamilienhauses. Jeder Bauherr holt nun in aller Regel auch noch eine Konkurrenzofferte ein, um Preis und Leistung vergleichen zu können und später keine Überraschungen zu erleben.

Als Auftraggeber hat vorliegendenfalls auch die Bevölkerung Anspruch darauf, das Angebot der GSS in Form des geplanten integrierten Versorgungsmodells Gesundheitsnetz Simme Saane mit Akutspital, dem Geburtshaus Maternité Alpine, dem Alterswohnen mit den Standorten Zweisimmen und Saanenland sowie der Spitex Saane-Simme von einer professionellen und neutralen Stelle überprüfen zu lassen. Damit erlangt man Gewissheit (nicht Garantie), ob die jährlich 1,5 Mio. Franken gut investiert sind, das heute verunsicherte Personal einer hoffnungsvollen Zukunft entgegenblicken kann und die Alterswohnen Simme Saane AG keine Angst mehr um ihre Existenz haben muss.

Der Gemeinderat von Gsteig fordert die GSS auf, einem Expertenbüro sowie allen Gemeinderäten der sieben Gemeinden die vollumfänglichen relevanten Unterlagen für eine unabhängige Überprüfung auszuhändigen bzw. zu übermitteln. Es ist höchste Zeit, diesen bereits früher mehrmals empfohlenen Schritt endlich zu vollziehen. Die Gemeinderäte aller sieben Gemeinden haben die Pflicht, ihren Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern eine fachmännisch überprüfte Abstimmungsvorlage zu präsentieren.

Die Zeit drängt, das Ergebnis muss Mitte November vor den neu geplanten Abstimmungen vorliegen. Angesichts der nurmehr kurzen verbleibenden Zeit haben wir eine neutrale, fachlich ausgewiesene Unternehmung gefunden, welche innerhalb eines Monats diesen Auftrag ausführen wird. Für die Begleichung der dadurch anfallenden Kosten hat der Gemeinderat bereits einen Kredit zulasten der Gsteiger Gemeinderechnung bewilligt.

Mit der Planung der nächsten Schritte nach dem 25. August 2023 haben Sie bewiesen, sehr rasch entscheiden und agieren zu können. Mit demselben Engagement erwarten wir deshalb die Übermittlung der verlangten Prüfungsunterlagen bis spätestens Mittwoch, 4. Oktober 2023. Das Ziel von uns allen muss sein, die Kräfte für eine dauerhaft gute Gesundheitsversorgung in der Region zu bündeln. Der Gemeinderat von Gsteig dankt für die Kooperation und fristgerechte Unterstützung.

IM NAMEN DES GEMEINDERATES

DER PRÄSIDENT: MARKUS WILLEN

DER SEKRETÄR: PAUL REICHENBACH


STELLUNGNAHMEN

Der AvS bat die sechs Gemeinden, die der ersten Vorlage vom 25. August zugestimmt haben, um eine Stellungnahme. Laut René Müller, Gemeindepräsident der Gemeinde Lenk und Sprecher der sechs zustimmenden Gemeinden, wird als Antwort auf den offenen Brief eine Medienmitteilung verfasst werden, die in der nächsten Ausgabe des AvS erscheinen wird. Auf Anfrage schreibt auch die Gesundheit Simme Saane AG (GSS), dass sie vom offenen Brief Kenntnis genommen hat. Eine Stellungnahme werde mit den sechs zustimmenden Gemeinden abgestimmt. «Wir möchten an dieser Stelle festhalten, dass die GSS bereits im April allen Gemeinderäten die Offenlegung des Businessplans angeboten hat. Der Gemeinderat von Gsteig hat dieses Angebot ausgeschlagen», schreibt das Unternehmen.

JOP


Sechs Fragen an den Gemeinde- und Gemeinderatspräsidenten Markus Willen

In einem offenen Brief wendet sich die Gemeinde Gsteig an die Gesundheit Simme Sanne, um die «vollumfänglichen relevanten Unterlagen» über das Projekt «Integriertes Gesundheitsnetz Simme Saane» zu erhalten. Und zwar nicht nur für sich, sondern für alle sieben Gemeinderäte, deren Gemeinden am 25. August über das Projekt abgestimmt haben. Die Gemeinde Gsteig möchte die Unterlagen einem unabhängigen Expertenbüro zur Überprüfung vorlegen und deren Stellungnahme den Stimmbürgern noch vor der zweiten Abstimmung vom 17. bis 19. November zur Verfügung stellen.

INTERVIEW: SONJA WOLF

Herr Willen, Ihnen wurde eine Initiative eingereicht für eine Wiedererwägung des Gemeindeversammlungsbeschlusses vom 25. August. Reichen die vorliegenden 94 Unterschriften, um noch einmal über das Geschäft abstimmen zu lassen?

Ja. Es braucht mindestens 10 Prozent der Stimmbürger, um eine Initiative einzureichen. Der Gemeinderat hat dann ein Jahr Zeit, die Initiative vors Volk zu bringen.

Sie verlangen von der GSS die Übermittlung Ihres Businessplans in wenigen Tagen, da- mit die Überprüfungsergebnisse des Expertenbüros bis spätestens Mitte November vorliegen. Warum die Eile? Haben Sie die Absicht, in Ihrer Gemeinde noch vor der Abstimmung der sechs anderen Gemeinden vom 17. bis 19. November abstimmen zu lassen, ob sich Gsteig letztlich dem Projekt der GSS anschliesst oder nicht?

Nein, auf keinen Fall. Das weitere zeitliche Vorgehen steht noch nicht fest. Wir möchten einfach mit diesem offenen Brief erreichen, dass wir eine sachliche Grundlage haben, wenn wir noch einmal über die Unterstützung des Projekts abstimmen. Wir werden das weitere Vorgehen mit den Initianten besprechen und das Geschäft frühestens für die nächste ordentliche Gemeindeversammlung traktandieren.

Warum dann die Eile?

Es geht nicht nur um uns. Von den vollständigen Unterlagen und auch den Ergebnissen der unabhängigen Überprüfung sollen ja auch die anderen sechs Gemeinden vor ihrer nächsten Abstimmung profitieren.

Welches unabhängige Expertenbüro haben Sie beauftragt?

Den Namen geben wir im Moment noch nicht bekannt. Niemand soll Einfluss nehmen können auf die Arbeit des Büros. Auch wir nicht. Unser Ziel ist es einfach, unseren Bürgern Sachinformationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Spätestens mit der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse wird der Name des Büros ja bekannt gegeben. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es unabhängig ist. Und dass es schwer genug war, jemanden zu finden, der nicht auf irgendeine Art und Weise in das Projekt involviert ist.

Warum haben Sie sich in einem offenen Brief an die GSS gewandt und nicht direkt?

Wir haben die vollständigen Unterlagen schon lange gewollt, denn bisher hat kein Gemeinderat den Businessplan in Papierform erhalten, um ihn ausführlich studieren und überprüfen zu können. Auf der Homepage gibt es nur den «Bericht zum Businessplan». Die Bevölkerung soll sehen, dass wir versucht haben, diese Unterlagen zu verlangen. Denn auf unsere direkten Anfragen hin haben wir den kompletten Businessplan noch nicht erhalten. Auch die GSS soll sehen, dass wir in einem öffentlichen Interesse handeln. Die Bevölkerung braucht eine gute Grundlage, um die Entscheidung zu fällen.

Macht eine künftige Wiedererwägungsabstimmung in Gsteig überhaupt noch Sinn, wenn die sechs verbleibenden Gemeinden im November das Modell ohne Gsteig annehmen?

Ja. So wurde es uns jedenfalls kommuniziert. Ich denke, dass wir ab jetzt sozusagen den gleichen Status wie die Gemeinden im Niedersimmental wie zum Beispiel Erlenbach oder Därstetten haben, die ja auch noch später die Möglichkeit haben dazuzustossen. Aber über eine mögliche Beteiligung Gsteigs am Projekt entscheiden sowohl die Gsteiger Stimmbürger und dann natürlich auch die sechs verbleibenden Gemeinden.


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