Lädelisterben erfasst nun auch Schönried
08.02.2010 SchönriedEine Ära geht zu Ende: Der Lebensmittelladen Gyger schliesst Ende Juni 2010. (Foto: Anita Moser)
In der vierten Generation führen Ursula und Hans van den Elshout-Gyger den Lebensmittelladen in Schönried – Ende Juni geht der Laden zu. Hans van den Elshout wird sich auf sein zweites Standbein, den Vertrieb seiner eigenen Salatsauce, konzentrieren, seine Gattin Ursula geht wie die vier Angestellten auf Stellensuche.
Aus wirtschaftlichen Gründen schliessen Ursula und Hans van den Elshout Ende Juni 2010 ihr Lebensmittelgeschäft. Der Entscheid aufzugeben sei ihnen nicht leicht gefallen, aber letztlich sei ihnen keine andere Wahl geblieben, betont das Ehepaar. «Wir sehen keine Chance, den Laden wirtschaftlich zu führen. Es ist ein Fass ohne Boden», sagt Hans van den Elshout. «Seit zehn Jahren investieren wir in den Laden und nur dank der Quersubventionierung mit dem Verkauf der Salatsauce haben wir ihn so lange halten können.»
Starke Konkurrenz – verändertes Kundenverhalten
Das Kundenverhalten habe sich im Laufe der Jahrzehnte verändert und der Konkurrenz- und Preisdruck – vor allem durch die Grossverteiler – habe zugenommen. «Mit den Lieferanten wird es auch nicht einfacher. Die Menge, die im Minimum bestellt werden muss, ist für kleinere Läden oft zu gross», sagt Ursula van den Elshout. Doch auch im Dorf selber ist der Markt härter geworden. «Früher haben die Dorfläden aufeinander Rücksicht genommen, heute kann man fast überall alles haben.» Grosskunden wie Hotels, Berg- oder Ferienhäuser, die man früher beliefern konnte, seien immer weniger geworden und Hauslieferungen immer seltener. «Mein Schwiegervater war vor Jahren den ganzen Morgen mit Liefern beschäftigt, ich bin um 8 Uhr fertig», vergleicht Hans van den Elshout.
«Wir konnten und können auf eine treue Stammkundschaft zählen – nur leider reicht das nicht fürs Überleben», sagt Ursula van den Elshout. «Die Stammkunden haben auch am ehesten Verständnis für unseren Entscheid.» Am meisten «ausgerufen» werde von jenen, die man im Laden nur selten sehe. Aber das sei ja meistens so, weiss die Geschäftsfrau. Leid tue ihr aber vor allem die ältere Generation. «Neben den Angestellten, die ihre Stelle verlieren, leiden die älteren Leute am meisten darunter, wenn die Dorfläden verschwinden.» Traurig stimmen die Familie – und insbesondere Mutter Heidi Gyger – verschiedene Gerüchte, die im Dorf kursieren. Man erzähle, ihr vor knapp einem Jahr verstorbener Gatte Gottlieb Gyger würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass man so kurz nach seinem Tod sein Lebenswerk aufgebe. «Es wurde nichts hinter dem Rücken von Gottlieb entschieden. Er hat schon zu Lebzeiten gesagt, dass er es begreifen würde, wenn die Jungen den Laden schliessen würden», sagt seine Witwe mit Tränen in den Augen. «Ohne den Nebenerwerb von Gottlieb wäre es auch für uns schwer gewesen, den Laden zu halten», betont Heidi Gyger. «Mein Vater hat auch die Neubaupläne mitgetragen – er war von Anfang an involviert und hat mitgeholfen», betont Tochter Ursula und ergänzt: «Auch meine beiden Geschwister verstehen unseren Entscheid, den Laden aufzugeben.»
«Neubau hätte Laden nicht gerettet»
«Unser Entscheid hat keinen Zusammenhang mit dem geplanten Neubauprojekt», dementiert das Ehepaar ein weiteres Gerücht, das besagt, der Laden gehe zu, weil die Gemeinde Saanen das Projekt abgelehnt habe. «Es stimmt, die Gemeinde hat Auflagen gemacht, es stimmt aber nicht, dass die Gemeinde schuld ist, dass wir den Laden schliessen», betont van den Elshout. «Wir haben das Projekt zurückgezogen, nachdem klar war, dass der Laden auch in einem Neubau nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Wir hätten ihn wiederum quersubventioniert – diesmal mit dem Verkauf von Eigentumswohnungen.» Die Neubaupläne sind allerdings nicht vom Tisch. Das Haus sei alt, eine Renovierung zu teuer. «Es mues öppis ga, aber es pressiert nid», so Hans van den Elshout.
Salatsauce – ein Erfolgsrezept
Ein wichtiges Standbein für die dreiköpfige Familie ist die Salatsauce, die der gebürtige Holländer seit 13 Jahren produziert und mittlerweile nicht nur lokal, sondern auch regional vertreibt. «Nach Möglichkeit werden wir dieses Geschäft ausbauen», so van den Elshout. «Geits eigetli no?», habe ihn sein Schwiegervater gefragt, als er 1998 begonnen habe, die Salatsauce, die er als Küchenchef fürs Berghaus Horneggli kreiert hatte, kommerziell zu vermarkten. Der Erfolg hat ihm recht gegeben. Mittlerweile produziert van den Elshout in seiner «Saucenküche» im Untergeschoss des Geschäftshauses 35 000 Liter Salatsauce pro Jahr.
Mit der Schliessung des Lebensmittelladens Gyger geht nicht nur eine Aera zu Ende, es gehen auch Arbeitsplätze verloren. Während sich ihr Gatte ab Juni auf den Vertrieb seiner Salatsauce konzentriert, ist Ursula van den Elshout wie die vier Teilzeitangestellten auf Stellensuche. «Wir sind ein gutes Team, fast wie eine Familie. Der Zusammenhalt geht so weit, dass noch keine von unseren langjährigen Angestellten gekündigt hat», sagt die Chefin gerührt. Die Lehrtochter schliesst ihre Lehre im Frühling ab.
Vier Generationen
Das Haus an der Hauptstrasse in Schönried ist über 100-jährig. Ursula und Hans van den Elshout-Gyger führen das Geschäft bereits in der vierten Generation. Am 1. Mai 1997 haben sie den Betrieb von den Eltern Heidi und Gottlieb Gyger übernommen. Früher war die Immobilie ein Hotel-Restaurant samt Lebensmittelgeschäft. «1970 haben wir umgebaut, aus dem Restaurant wurde das Ladenlokal. Das Hotel-Restaurant – das heutige Hotel Kernen – ging an meine Schwester», erzählt Heidi Gyger. Und ihre Tochter ergänzt: «Im Obergeschoss sind nach wie vor die Hotelzimmer.»
«Es tut uns weh, den Laden und damit die Selbständigkeit aufzugeben, man hat auch das Gefühl, versagt zu haben», resümiert Hans van den Elshout nachdenklich. «Aber man muss sich der Realität stellen – ich bin überzeugt, dass wir nicht das einzige Lebensmittelgeschäft im Saanenland sind, das quersubventioniert wird», so der Geschäftsmann. Dass die heute 16-jährige Tochter kein Interesse habe, den Betrieb irgendeinmal weiterzuführen, sei zwar nicht entscheidend gewesen, habe aber den Entschluss wohl etwas erleichtert. «Vielleicht ist der Zeitpunkt auch gerade richtig. Wir sind in einem Alter, wo man noch einen Neuanfang wagen kann», sagt Ursula van den Elshout-Gyger zuversichtlich.