Die Wissenschaft hält Einzug ins Ballonfestival

  28.01.2020 Pays-d'Enhaut, Event, Nachbarschaft

Das 42. Internationale Ballonfestival in Château-d’Oex folgt ganz dem Motto «Abenteuer, Wissenschaft und Freiheit». Besonders die wissenschaftlichen Aktivitäten und Events durchziehen das Festival wie ein roter Faden.

SONJA WOLF
Eine thematische Ausrichtung des traditionellen Ballonfestivals ist neu und eine bestechende Idee. Doch wie passt das zusammen: Die fröhlich-bunten Heissluftballone, die während neun Tagen am Himmel über Château-d’Oex schweben, und die Wissenschaft?

Der Ballon im Dienste der Wissenschaft
Ballone und Wissenschaft passen ganz hervorragend zueinander, wie der öffentliche Vortrag am vergangenen Samstag, dem Eröffnungstag des Festivals, zeigte. Einer der Hauptreferenten war Hans Peter Beck, Forscher am Cern, Präsident der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft und Dozent an den Universitäten Bern und Freiburg. Er erklärte den rund 200 wissenschaftlich interessierten Zuhörern die Rolle der Ballone für die Wissenschaft: «Kosmische Strahlung» heisst das Zauberwort. Der deutsche Physiker Albert Gockel, der lange Zeit an der Freiburger Universität lehrte, habe die kosmische Strahlung ab 1909 auf mehreren Ballonfahrten bis auf 4500 m entdeckt – auch wenn er sie damals noch nicht so benannt habe. Im Jahr 1912 sei der österreichische Physiker Victor Franz Hess sieben Mal mit einem Ballon aufgestiegen, um nachzuweisen, dass eine bisher unerforschte Strahlung aus dem All durch die Atmosphäre dringt. 1936 erhielt er für seine Entdeckung den Physiknobelpreis. Der Heissluftballon stand laut Becks Ausführungen also durchaus schon einige Male im Dienst der Wissenschaft.

Hans Peter Beck konnte in seinem Vortrag bereits ganz aktuelle Fotos präsentieren: Am Vormittag des gleichen Tages fand ein Gedenkflug statt, bei dem die kosmische Strahlung mit heutigen Messgeräten um einiges leichter und genauer als vor über einem Jahrhundert gemessen werden konnte.

Gigantischer Teilchenbeschleuniger
Der Wissenschaftler gab ebenfalls Einblick in seine Arbeit am Forschungszentrum Cern, wo er an Teilchenkollisionsexperimenten mit dem Large Hadron Collider (LHC) mitwirkt. LHC ist ein gigantischer ringförmiger Teilchenbeschleuniger mit 27 Kilometer Umfang, der sich in etwa 100 Meter Tiefe im Grenzgebiet der Schweiz und Frankreichs nahe Genf befindet.

Science Meets Art
Einen anderen Zugang zur Wissenschaft präsentierte der mit Beck befreundete Wissenschaftler und Künstler Michael Hoch, der schon seit einigen Jahren an seinem Projekt «Where Science Meets Art» arbeitet. Er zeigte zum Beispiel Werke, bei denen er wissenschaftliche Fotografien zur Darstellung von Materie und Anti-Materie gleichsam zerstückelte und mit Nahaufnahmen von Blumen spickte.

Verschmelzung Wissenschaft und Festival
Im Gespräch nach dem Vortrag berichtete Michael Hoch, wie die Verschmelzung «Wissenschaft und Ballone» des diesjährigen Festivals zustande kam. So habe die Direktorin des Museums Espace Ballon, Jacqueline Trenta-Dubé, seine Werke vor etwa zwei Jahren in einer Galerie in Vevey gesehen. Sie habe angefragt, ob sie einige seiner Werke im Museum in Château-d’Oex ausstellen könne. «Sehr gerne habe ich das Angebot angenommen», erinnerte er sich, und: «Ich bin immer darauf bedacht, nicht nur meine Werke auszustellen, sondern die Wissenschaft mitreinzuholen und zu beleuchten.» Auf Anfrage habe daraufhin sein Kollege Hans Peter Beck erreicht, dass die Universitäten Bern und Freiburg die entsprechenden Messgeräte für die kosmische Strahlung zum Museum beigesteuert hätten. Über die Direktorin des Espace Ballon entstand schliesslich der Kontakt zwischen den Cern-Wissenschaftlern und Fred-Paulin Gétaz, dem Vorsitzenden des Organisationskomitees des Internationalen Ballonfestivals. Damit war die Motto-Idee für das Festival geboren!

Aktivitäten für die Besucher
Neben dem zentralen Vortrag am Samstag haben die Besucher auch noch am kommenden Wochenende die Möglichkeit, verschiedene Aktivitäten zu testen: Sie können Nebelkammern bewundern oder auch einen Simulator der Ingenieurhochschule Freiburg testen, der Ballonpiloten auf Langstreckenfahrten vorbereitet. Oder sie kreieren im Atelier «Art & Science» Farbkollisionen nach dem Vorbild des grossen Teilchenbeschleunigers Large Hadron Collider im Cern.

Grosse Auszeichnungen
«Abenteuer, Wissenschaft, Freiheit» – das Thema der diesjährigen Festivalausgabe liess aber noch mehr vermuten. Nach den Ausführungen der Cern-Wissenschaftler berichteten am Samstagabend auch Nicolas Tièche und Laurent Sciboz, die Sieger der Gasballonwettbewerbe Gordon Bennett 2019 und America’s Challenge 2017, über ihre Abenteuer.

Beim Gordon Bennet war das Team 82:03 Stunden und 1774 km unterwegs, bei der America’s Challenge 59:19 Stunden und 3670 km.

Amüsante Details
«Können Sie sich vorstellen wie es ist, 82:03 Stunden in einem ein mal ein Meter grossen Korb mit dem Teampartner zusammenzuleben? Man muss sich schon sehr gut verstehen!», scherzte Nicolas Tièche. Und erheiterte das Publikum mit weiteren Details und Anekdoten über die erlebten Langstreckenflüge: «Man schläft nur vier Stunden pro Tag, aufgeteilt auf zwei mal zwei Stunden, die Füsse oder wahlweise der Kopf durch eine aufklappbare Seitenwand ausserhalb des Ballons.» Man sah die Weltmeister weiterhin in kleinen Filmeinspielungen bei Aufwärmversuchen bei Schnee und Kälte im Gasballon über Kanada oder bei Landungen. Auch Bilder, wie all die Essensvorräte und technischen Geräte auf minimalem Raum Platz haben, wurden gezeigt. Insgesamt sind die Wettbewerbe keine leichte Aufgabe bei 130 bis 140 km/h und einer Flughöhe von 5000 m. Glücklicherweise stehe den Piloten jederzeit ein Team von etwa 20 Personen an der Basis in Freiburg zur Verfügung, die sich um die Rahmenbedingungen des Fluges kümmern, ganz besonders natürlich um die Wettervorhersage.

Gemütlicher Ausklang
Nach der Fülle von Informationen klang der Abend für alle Fans der Heissluft- und Gasballons bei Raclette und Live-Volksmusik aus. «Das Motto-Konzept für das Festival wollen wir beibehalten», verrät der Vorsitzende des Organisationskomitees Fred-Paulin Gétaz. Wir dürfen also gespannt sein auf die Ausgabe 2021.


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